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0183 - Der Mann, der das Grauen erbte

0183 - Der Mann, der das Grauen erbte

Titel: 0183 - Der Mann, der das Grauen erbte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang E. Hohlbein
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geheimnisvolle Art schien es Gedankenströme zu verstärken, und manchmal wirkte es auch als Schutz gegen geistige Angriffe.
    Er legte das Amulett mit der glatten Unterseite auf die Stirn des Mädchens und berührte es mit den Fingerspitzen. Dann konzentrierte er sich.
    Es war ein harter Kampf. Vielleicht einer der härtesten, den er bis dahin ausgefochten hatte. Aber mit Hilfe der geheimnisvollen weißen Magie, die in dem Amulett gefangen war, gelang es ihm schließlich, die geistige Barriere zu durchbrechen.
    Was er sah, war Chaos.
    Der Anblick war so grauenhaft, daß er unwillkürlich aufstöhnte. Eine ungeheure Gewalt schien die Barriere zwischen dem Bewußtsein und dem Unterbewußtsein des Mädchens niedergerissen zu haben, diesen lebenswichtigen Schutzmechanismus, der den Menschen davor bewahrt, von dem Grauen, das in ihm wohnt, heimgesucht zu werden.
    Alle vorstellbaren Monster des Universums schienen durch das Denken des Mädchen zu toben. Und noch ein paar mehr.
    Zamorra benötigte mehrere Minuten, um sich zu orientieren. Die durcheinanderstürzenden Schreckensbilder zerrten auch an seiner Kraft, krallten sich in seine tastenden Gedankenfühler und versuchten, auch ihn in den Strudel des Vergessens hinunterzuziehen. Ohne das Amulett wäre er verloren gewesen. Aber auch so kostete es ihm unmenschliche Anstrengungen, wenigstens eine kleine Enklave der Ruhe zu schaffen, einen Horchposten gewissermaßen, von wo aus er sich weiter vortasten konnte.
    Langsam, unendlich langsam, klärte sich das Bild. Und im gleichen Maße, wie seine Gedanken die Oberhand gewannen, verblaßte das Grauen und machte einer tiefen Erschöpfung Platz. Er spürte, wie irgend etwas im Geist des Mädchens erwachte, versuchte, die Schreckensbilder dahin zurückzutreiben, wo sie hingehörten, und er griff mit aller geistigen Macht zu, lenkte Ströme von beruhigenden Emotionen in das Gehirn des Mädchens, half, unterstützte, schob.
    Stunden später, wie ihm schien, öffnete er die Augen. Er zitterte, und auf seiner Stirn stand kalter Schweiß.
    Ein leises, kaum vernehmbares Stöhnen drang an sein Ohr. Er sah, wie Nicole zusammenzuckte und herumfuhr.
    Das Mädchen hatte die Augen geöffnet. Aber ihr Blick war klar. Das Grauen war verschwunden, und an seine Stelle war eine unendliche Traurigkeit getreten, gepaart mit Erschöpfung und Unverständnis. Ihr Blick ruhte eine Sekunde lang auf Zamorra.
    »Wer… wer sind Sie?« fragte sie schließlich mit matter Stimme.
    Von draußen erscholl ein hoher, spitzer Schrei, dann wurde die Tür aufgerissen, und Mrs. Hunter stürzte herein, gefolgt von ihrem Mann. Offenbar hatte sie draußen an der Tür gelehnt und gelauscht. Sie lief auf das Bett zu, warf sich über ihre Tochter und umarmte sie stürmisch. »Mary. Kleines… du… du bist wach… du sprichst…«
    »Wie haben Sie das gemacht?« fragte der alte Hunter. Er stand dicht neben seiner Frau, streichelte die Hand seiner Tochter und kämpfte krampfhaft um seine Fassung. In seinen Augen schimmerten Tränen.
    »Sie - sie ist gesund!«
    »Nein«, Zamorra schüttelte den Kopf. »Sie ist immer noch krank, Mister Hunter. Sie müssen sofort die Ärzte verständigen.«
    »Natürlich, ich…«
    »Sie braucht jetzt intensive Pflege. Viel Ruhe, Liebe.«
    »Aber Sie haben sie geheilt!«
    »Nein, das habe ich nicht«, sagte Zamorra fast ärgerlich. »Ich habe ihr geholfen, zu vergessen, das ist alles. Aber sie wird sich wieder erinnern, bald. Die Erinnerung wird Stück für Stück kommen. Das muß so sein, wenn sie nicht ihr Leben lang ein geistiger Krüppel sein soll. Und dazu braucht sie die Hilfe der Ärzte. Und Ihre.«
    »Natürlich. Ich…« Hunter nickte eifrig. »Wie kann ich Ihnen danken? Kann ich Ihnen Geld… irgend etwas…« Er brach ab, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und lächelte nervös. »Verzeihen Sie mir, wenn ich…«
    »Schon gut.« Zamorra stand auf und gab Nicole ein Zeichen.
    »Haben Sie Telefon?«
    »Natürlich. Unten in der Diele.« Hunter machte Anstalten, ihm den Weg zu zeigen, aber Zamorra hielt ihn zurück. »Ich finde schon allein hin. Bleiben Sie ruhig bei Ihrer Tochter.«
    »Sie bleiben doch noch?«
    »Natürlich.«
    Er verließ das Zimmer, schloß leise die Tür und ging vor Nicole ins Erdgeschoß hinunter.
    »Wen willst anrufen?« fragte Nicole.
    »Niemanden. Komm.« Zamorra öffnete lautlos die Haustür, ließ Nicole vorbei und zog sie behutsam hinter sich zu. »Ich wollte nur unauffällig verschwinden«, sagte er,

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