02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
Gesicht zu sich: „Aber du bist nun mal fast 16 Jahre alt. In diesem Land ist das die Zeit, in der ein junges Mädchen heiratet. Wir beide können davor nicht länger die Augen verschließen.“
„Ich will nicht heiraten, Mama.“
In Mutters Augen schien eine Traurigkeit zu liegen, als ob sie verstehen würde, was in mir vorging. „Ich muss nachdenken, Choga Regina, wie es weitergehen soll. Bis ich es weiß, wirst du tapfer gegen die Hirnhautentzündung ankämpfen.
Hast du mich verstanden?“ Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich habe dir nicht sehr oft gesagt, dass ich dich lieb habe, nicht wahr? Aber es ist so. Jetzt beruhige dich. Ich komme bald wieder zu dir.“
Sie legte den Mundschutz wieder an und verließ den Raum. Ich starrte an die Decke und stellte mir die sanften Hügel vor, in denen unsere Farm eingebettet lag. Wenn ich doch nur dorthin zurückgekonnt hätte!
Mutter besorgte mir keinen Arzt, wozu auch? Stattdessen kam ihre alte Freundin Amara vorbei, um mit ihrer Diagnose die queens und meine Schwestern zu beruhigen, damit ich wieder in den Alltag aufgenommen werden konnte.
Zuletzt hatte ich die Heilerin als Kind gesehen, als sie mir wegen meines Beinproblems ihren Rat erteilte. Sie war inzwischen noch schwergewichtiger geworden, ihr Leib wollte fast das ganze Zimmer ausfüllen. Sie zog einen Stuhl an mein Bett und sah mir tief in die Augen. Schweigend. Ich war verunsichert, wusste nicht, wie ich reagieren sollte, schlug beschämt die Augen nieder und spürte Amaras Blick auf meiner Haut.
Endlich traute ich mich wieder, die Heilerin anzusehen. Sie hatte ihren Blick noch immer nicht abgewendet.
„Du bist ein gutes Mädchen“, sagte sie endlich und nahm meine eiskalten Hände. Ich wusste nichts zu sagen. „Was möchtest du gern tun?“, fragte Amara.
„Ich möchte nach Hause“, antwortete ich spontan.
„Wo ist dein Zuhause?“
Papa Felix hatte es uns weggenommen. Der Harem war es auch nicht mehr.
Hilflos hob ich die Schultern.
„Gott ist dein Zuhause“, sagte Amara, „du wohnst in seinem Haus und er wohnt in dir, mein Kind. Vertrau darauf, dass Gott dich beschützt. Er lässt dich niemals im Stich.“ Sie drückte meine Hände. „Manchmal erscheint es uns nur so. Das sind die Prüfungen, die er uns stellt. Auf dich wartet eine große Prüfung, doch du wirst an ihr wachsen. Vor einer Prüfung darf man nicht davonlaufen.“ Amara sah mich fest an. „Sonst läuft sie dir nach.“ Sie lächelte mir aufmunternd zu, griff in ihren Beutel aus Tierfell und reichte mir ein Säckchen, dessen Inhalt raschelte. „Ich bin nicht nur gekommen, um dir schlaue Sachen zu erzählen, mein Kind. Aus diesen Kräutern bereitest du dir jeden Abend vor dem Schlafengehen einen Tee. In ein paar Wochen werde ich wieder nach dir sehen, ob er geholfen hat.“
Ich befolgte Amaras Rat, wenngleich der Tee aus den graugrünen Blättern etwas bitter schmeckte. Nach vielleicht einer Woche legte sich meine Zukunftsangst, ich kehrte ins „Hühnerhaus“ zurück und nähte mein Kleid zu Ende. Ich sah ein, dass niemand vor seinem Schicksal davonlaufen kann; es gab einen viel besseren Weg: Aushalten und Kräfte sammeln, stark werden, bis die Tage der Prüfung wirklich kommen.
Über ein Jahr lang trank ich Amaras Tee, ohne mich zu fragen, was er enthielt.
Den anderen sagte ich, es sei wegen meiner überstandenen Meningitis. Sie sollten nicht wissen, was ich für mich selbst erkannt hatte: Der Glaube an Gott gab Kraft, aber Amaras Tee gab mir die Kraft, an Gott auch dann zu glauben, wenn ich nicht mehr wusste, wie es weitergehen sollte.
Vielleicht war das meine erste wirkliche Lektion des Erwachsenenlebens. In einer Welt, in der Männer die Gesetze aufstellen, brauchen Frauen mehr als nur ihren Glauben. Allerdings behielt ich diese Einsicht vorsichtshalber für mich ..
Idus Vision
Mein Vater musste nie eine wirkliche Krone tragen, damit von seinem Kopf dieses unvergleichliche Strahlen ausging. Stets umgab ihn eine Aura aus Stärke und Wissen, die ihn unantastbar erscheinen ließ. Alle blickten zu ihm als unserem machtvollen Beschützer auf.
Umso erschreckender war das Wiedersehen mit ihm nach seiner Genesung. Ich musste zweimal hingucken, um ihn überhaupt als Papa David wieder zu erkennen, den Herrn über eine unüberblickbar große Gemeinde. Er stand nicht wie gewöhnlich in seinen weiten weißen Gewändern vor uns, die an der Brust mit goldener Stickerei leuchtend verziert waren, sondern saß vor
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