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02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren

Titel: 02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Choga Regina Egbeme
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seiner versammelten Familie in einem Stuhl mit hoher Lehne. Bereits dadurch wirkte er fremd, eher wie ein Besucher.
    Aber dass er so schmal geworden war, plötzlich geradezu zerbrechlich wirkte, erschreckte mich zutiefst. Trotz oder gerade wegen seines geschmückten Umhangs war deutlich, dass er stark abgemagert war. Seine Haut wirkte grau, den Augen fehlte der Glanz. Seine Hände lagen entspannt auf den Armlehnen des Stuhls, doch das schwere Gliederarmband der Uhr schien wie ein Gewicht am Handgelenk zu ziehen. Ich hatte den Eindruck, dass Papa David zu klein geworden wäre für die bedeutsame Rolle, die ihm zufiel. Trotzdem schien er ruhig und gefasst.
    Das Gemeinschaftshaus füllte sich. Frauen, Kinder und männliche Besucher nahmen leise Platz, jedes laute Rücken eines Stuhls wirkte in diesem erhabenen Moment des Wiedersehens aufdringlich. Papa David bewegte sich nicht, auch blickte
    er keines seiner vielen Kinder, keine seiner Frauen an. Auf seinem Platz neben dem Predigtpult nahm er sich aus wie eine aus Holz geschnitzte, mannhohe Figur, in der aber kein Leben zu erkennen war.
    Nachdem alle saßen, hob er die geöffneten Hände zum Himmel, das Zeichen, dass wir uns zu erheben hatten, um gemeinsam zu beten. Seine Stimme war kräftig wie eh und je, als er das Vaterunser zu sprechen begann. Er beendete es mit einem lauten Hallelujah, woraufhin Mama Patty ein Lied anstimmte, in das alle einfielen. Wie immer begleitete Mama Patty den Gesang mit rhythmischem Klatschen, der Chor schlug Rasseln und Schellen. Die ernste Atmosphäre verflog rasch, der gemeinsame Gesang aus gewiss 300 Kehlen klang ermutigend und fröhlich.
    Ich war gespannt, ob Papa David sich erheben würde, ob er die Kraft hätte, wie üblich eine halbe Stunde lang zu sprechen, ob er uns ermutigte und seine lange Abwesenheit erklärte. Doch Vater blieb die ganze Zeit auf seinem Stuhl sitzen, die Lehnen umklammert. Während er sprach, schien der ganze Stuhl zu erzittern unter der großen Energie seiner Worte. Gleich zu Beginn gab er die Richtung seiner Ansprache vor, die von Tod und Auferstehung handelte. Allerdings sprach er die vergangenen zehn Monate seiner Krankheit nicht direkt an, sondern umschrieb sie mit Bibelworten. Sie gaben mir in erschreckender Deutlichkeit zu verstehen, wie nahe er sich dem Tod gefühlt hatte.

    Doch nun feierten wir Vaters Rückkehr in unsere Mitte mit immer neuen Liedern. Die Stimmung wurde geradezu euphorisch, niemanden außer Vater hielt es mehr auf seinem harten Sitzplatz. Alle tanzten, viele hatten die Arme zum Himmel erhoben, jubelten ihre Freude heraus. Die Familie war überzeugt, ihren Mittelpunkt wieder gefunden zu haben, ihr kräftig schlagendes Herz.
    Gerieten Zusammenkünfte wie diese zu einem kaum noch kontrollierten Freudenfest, was selten vorkam, so geschah es gelegentlich, dass sich eine der Frauen mit schriller Stimme Gehör verschaffte.
    Wir anderen verstummten bei solch raren Gelegenheiten nach und nach.
    Schließlich war nur noch die Stimme jener zu hören, der gerade die Gnade einer Vision widerfuhr. Bis zu jenem denkwürdigen Sonntag hatte ich das nur zwei-oder dreimal erlebt. Eine Vision zu haben, war etwas Besonderes; hieß es doch, dass in diesen Momenten die Stimme Gottes aus der Betreffenden sprach.
    Frauen, die während eines Fests Visionen gehabt hatten, durften sich mit einem lila Band schmücken, welches sie sich anlässlich großer Feiern um die Hüfte schlangen. Ein Leben lang galten sie als dem Herrn besonders nahe stehend.
    Ich bekam an jenem Tag erst recht spät mit, was vor sich ging, zu sehr beschäftigte mich Vaters offenkundige Schwäche. Immer wieder wanderte mein Blick zu ihm, der in seinem Stuhl verharrte, wo er doch früher mit lautem, rhythmischen Klatschen und seiner kräftigen Stimme die Euphorie auf den Gipfel getrieben hatte.
    In der Mitte des Raums hatten sich die weiß gewandeten Frauen um eine andere geschart, die mit verzerrter Stimme Unverständliches von sich gab. Es schienen immer die gleichen Worte zu sein, die sie ständig wiederholte.
    Ich bemerkte offensichtlich als Einzige, dass Vater sich mühsam aus dem Stuhl zu erheben begann. Es fiel ihm offensichtlich schwer. Zunächst zögerte ich einen Moment, dann trafen sich unsere Blicke. Ich eilte zu ihm ihn und kniete mich neben ihn, damit er sich auf mich stützen konnte. Er nahm meine Hilfe tatsächlich an! Schließlich stand er neben mir und wartete, bis ich selbst mich aufgerichtet hatte. Papa David legte seine

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