02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
der Hand. Annie riss sich los. »Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln!«, rief sie. Ihre Augen blitzten ärgerlich. »Ich habe eine bipolare Störung, keine Behinderung!«
»Ich behandle dich nicht wie ein Kind«, antwortete Heather, wobei es ihr schwerfiel, ruhig zu bleiben. »Aber ich fände es
nett, wenn du aufhören würdest, dich wie eines zu benehmen. Silver ist ein Nachtgeschöpf. Ich passe nur auf dich auf.«
»Wirklich? Ist das noch ein Typ, mit dem du nicht zusammen bist, den du aber für dich behalten willst?«
»Nein!«
»Oh. Gut. Dann darfst also nur du mit Nachtgeschöpfen flirten? Ist es das, Fräulein Ich-kriege-alles-was-ich-will?«
»Annie, kein …«
»He, weißt du was? Du kannst mich mal!« Annie fuhr herum und verschwand hinter den Vorhängen.
»Scheiße!« Annies Namen rufend riss Heather die schweren Vorhänge beiseite und hastete über die Bühne hinter ihr her. Aber Annie stürzte sich bereits in die Menge hinter der Absperrung. Arme drängten sie nach hinten, und kurz darauf war ihr bunter Haarschopf nicht mehr zu sehen.
Heather sprang ebenfalls von der Bühne, schlüpfte unter dem Absperrgeländer hindurch und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Die Lichter im Club gingen aus, und das Publikum begann zu toben. Mehrere dicke Männerkörper, die nach Schweiß und Bier stanken, schoben sich vor Heather. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um so nach Annie Ausschau zu halten, aber das Meer aus Köpfen machte es unmöglich, sie irgendwo zu entdecken.
Die Menge drängte nach vorn, Heather bekam Ellbogen und Hüften in die Seiten, und ihre Ohren dröhnten, als das Brüllen der Leute immer lauter wurde. Da sie wusste, dass es jetzt keinen Sinn hatte, sich zu befreien, während Inferno auf die Bühne kam, drehte sie sich um und beschloss, erst einmal dem Konzert zuzuhören.
Alex wandte sich von der Bar ab, ein Plastikglas mit Rogue-Ale in der Hand, und trat zu einer Gruppe von Leuten, die weiter hinten zusammenstanden und sich unterhielten. Bunte Lichter erhellten die Bühne, wo vier Gestalten ihre Plätze einnahmen.
Nebelmaschinen pumpten einen weißen, nach Räucherstäbchen riechenden Dampf in die Menge. Er trank einen Schluck Bier und steckte sich dann Stöpsel in die Ohren.
Harte Industrial-Musik dröhnte wie eine wütende Wand aus Tönen in die Menge, und Alex’ Herz begann, im Takt mit dem tiefen Bass zu schlagen. Er richtete den Blick auf Dantes schmale Gestalt. Er stand vorn auf der Bühne vor einem Mikrofon und hatte die Hände um den Ständer gelegt, während seine dunkel schimmernde Gitarre auf Beckenhöhe hing.
Dann schmiegte er die Hände um das Mikrofon und begann zu singen. Seine tiefe, zornbebende Stimme vermischte sich mit der Musik, die den Club erschütterte und Alex das Rückgrat hochkroch.
»On my hands and knees«, sang Dante, und seine Stimme war ein heiseres Flüstern. »For you, I’ll crawl, on hands and knees, across shattered glass, over splintered hearts, nothing is left of us. Nothing remains. But to crawl. On hands and knees.«
Die Musik brach ab, doch die Menge hörte nicht auf, sich gegeneinander zu werfen, ohne dabei an blaue Flecken oder sonstige Verletzungen zu denken.
»Nachdem ich jetzt eure Aufmerksamkeit habe«, sagte Dante von der Bühne herab, »will ich die Nachtgeschöpfe im Publikum direkt ansprechen.«
Mehrere Leute – sowohl Männer als auch Frauen – kreischten »Ich liebe dich, Dante!« Einige lachten, da sie offenbar annahmen, er sage das nur, um sein Spiel mit dem Publikum zu treiben. Enthusiastische Schreie ertönten.
Die meisten hatten keine Ahnung, dass er tatsächlich das war, was sie sich in ihren dunkelsten Fantasien gewünscht hatten: ein Vampir – und noch mehr.
»Alle sind hierhergekommen, um das Konzert zu genießen, ein wenig Alkohol zu trinken und vielleicht jemanden abzuschleppen«, fuhr Dante mit einer klaren, tragenden Stimme
fort, die einen leichten Cajun-Akzent hatte. »Wenn jemand allerdings aus einem anderen Grund hier ist und auf la passée steht, dann sollte er besser zu einem Revival-Konzert der Smashing Pumpkins oder einem anderen lahmen Gig gehen und dort seinen Durst löschen. Wenn ihr hier jemanden ohne vorherige Zustimmung anfasst, dann werdet ihr das verdammt bereuen.«
Eine Stimme erhob sich aus der Menge. »Ist das eine Provokation? « Wieder Gelächter.
Ein Scheinwerfer richtete sich auf Dante und tauchte ihn in bläulich weißes Licht. Langsam reckte er den Mittelfinger. »Was
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