02 - Von dir kann ich nicht lassen
hast die Lady zu lange für dich
beansprucht. jetzt bin ich an der Reihe.« Er zog ihre Hand durch seinen Arm und
führte sie näher an das Pianoforte heran.
Er war
seinem Bruder so ähnlich, dachte Jane. Nur dass er etwas schlanker und
langbeiniger war. Und wo bei Jocelyn Düsterkeit vorherrschte, zeichnete sich
Lord Ferdinand durch Heiterkeit aus. Sie hielt ihn für einen unbeschwerten,
glücklichen, unkomplizierten jungen Mann. Oder auch nicht. Vielleicht hatte.
sie nur mehr Gelegenheit gehabt, Jocelyns geheime Charaktertiefen zu ergründen,
während sie seine Mätresse und Freundin gewesen war.
»Hier
sind mehr Leute, als ich erwartet hatte«, sagte sie.
»Ja.«
Er lächelte ihr zu. »Ich habe beinahe ebenso wenig Erfahrung mit solch
erlesenen Zusammenkünften wie Sie, Lady Sara. Normalerweise meide ich sie.«
»Warum
haben sie es bei dieser Gelegenheit nicht getan?«, fragte sie.
»Weil
Angie sagte, dass Sie hier sein würden.« Er grinste sie an.
Fast
dasselbe hatte Viscount Kimble zuvor gesagt. Waren diese beiden Gentlemen also
so hingerissen von ihr? Oder wussten sie beide genau, was sie für Jocelyn
gewesen war?
»Werden
Sie singen?«, fragte Lord Ferdinand. »Wenn ich jemanden überreden kann, Sie zu
begleiten? Für mich, wenn für niemanden sonst? Sie haben die lieblichste
Stimme, die ich jemals gehört habe.«
Sie
sang, begleitet von Miss Meighan, »The Lass with the Delicate Air«. Die um das
Pianoforte versammelte Menschenmenge lauschte aufmerksamer als bei den übrigen
Vorführungen. Und weitere Leute gesellten sich aus den angrenzenden Räumen
hinzu.
Unter
ihnen der Duke of Tresham. Er stand im Eingang des Salons, als Jane sich zum
Dank für den auf ihren Gesang folgenden Applaus lächelnd umsah. Er wirkte
elegant und makellos und nicht im geringsten so, wie man es von einem Mann
erwarten würde, der innerhalb weniger Stunden dem Tod ins Auge blicken musste.
Jane
versenkte ihren Blick einen endlos langen Moment in seinen, während sich im
Musikzimmer neugierige Stille ausbreitete. Dann wandte sie den Blick ab und
lächelte erneut, und die Unterhaltungen wurden wieder aufgenommen, als wären
sie niemals unterbrochen worden.
»Verdammt!«,
murrte Lord Ferdinand neben ihr, als sie vom Pianoforte forttreten wollte,
damit eine andere junge Lady ihren Platz einnehmen könnte. »Was, zum Teufel,
macht sie hier?«
Lady
Oliver stand neben Jocelyn, wie Jane bemerkte, als sie erneut hinschaute. Sie
sah lächelnd zu ihm hoch und sagte etwas. Er blickte auf sie hinab und
antwortete. Dann legte sie eine Hand auf seinen Arm.
Lord
Ferdinand hatte sich wieder gefangen. »Im Raum gegenüber der Eingangshalle
werden Erfrischungen angeboten«, sagte er. »Wollen wir dorthin gehen? Gestatten
Sie mir, Ihnen etwas vom Büffet zu holen? Haben Sie Hunger?«
»Heißhunger«,
erwiderte sie, lächelte ihn betörend an und nahm seinen Arm.
Fünf
Minuten später saß sie vor einem gut gefüllten Teller mit Lord Ferdinand und
weiteren vier Gästen zur Unterhaltung an einem kleinen Tisch. Sie wusste im
Nachhinein nicht mehr, was man zu ihr gesagt oder was sie darauf erwidert
hatte. Oder was sie gegessen hatte, wenn überhaupt etwas.
Er war
gekommen. Gerade so, als hätte ein Duell keinerlei Bedeutung. Gerade so, als bedeutete
ihm sein Leben nichts. Und er hatte dieser Frau gestattet, ihn zu
berühren und mit ihm zu reden, ohne sie lauthals und öffentlich abzuweisen.
Womit er nicht nur den Anschein von Schuld erweckte, sondern zudem einen Mangel
an guten Geschmack bewies, indem er sich nicht von seiner vermutlichen
Geliebten, einer verheirateten Lady, fern hielt. War die Ehre eines Mannes so
interpretierbar?
Schließlich
führte Lord Ferdinand sie aus dem Erfrischungsraum hinaus und durch die
Eingangshalle wieder in den Salon und die beiden angrenzenden Räume. War es
noch zu früh, fragte sich Jane, Tante Harriet zu suchen und vorzuschlagen, nach
Hause zurückzukehren? Aber wie sollte sie hier auch nur noch eine Stunde
überstehen, ohne ohnmächtig zu werden oder sogar einen hysterischen Anfall zu
bekommen?
Jemand
trat aus dem Eingang des Salons, als sie den Raum gerade betreten wollten.
Jocelyn. Er ergriff ihr rechtes Handgelenk und sah seinen Bruder an, sagte aber
kein Wort. Lord Ferdinand schwieg ebenfalls, löste nur seinen Arm von Janes und
betrat den Raum ohne sie. Und auch sie schwieg. Es war ein eigenartiger Moment.
Er
führte sie in die Eingangshalle zurück und wandte sich dann nach links, zog sie
vom
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