0225 - Das Lavamonster
waren wir«, sagte Zamorra plötzlich und deutete auf ein blaues Hinweisschild. »Das glaube ich vorhin gesehen zu haben. Wir müssen in die andere Richtung. Tolle Gegend, die unsere schwarzen Magier sich da ausgesucht haben für ihre Beschwörung…«, er deutete erneut auf das blaue Schild.
»Lupanar«, las Nicole. »Und was heißt das? So weit reichen meine Lateinkenntnisse nicht.«
Zamorra grinste. »Anständige Mädchen brauchen so etwas nicht zu wissen. Was damals schlicht Lupanar hieß, wird heutzutage durch rote Beleuchtung kenntlich gemacht…«
»Oh«, machte Nicole. »Sag mal, woher stammen denn deine eingehenden Kenntnisse? Anständige Jungen wissen so etwas nämlich auch nicht!«
»Ich bin eben ein weitgereister und gebildeter Mann«, lobte sich Zamorra bescheiden.
»Was Prostitution und Bildung gemeinsam haben, möchte ich auch mal wissen…«, murmelte Nicole dumpf und folgte Zamorra, der eine beschleunigte Gangart einlegte. Sie überkletterten die Absperrung und beeilten sich, zum Tor zu kommen. Von da bis zum Parkplatz war es noch einmal ein ganz schönes Stück zu Fuß.
Die zehntausend Lire, die Zamorra einem halbwüchsigen Jungen in die Hand gedrückt hatte, waren gut investiert. Der offene -Cadillac war unberührt geblieben.
Zamorra klemmte sich hinter das Lenkrad, wartete gerade so lange, daß Nicole noch einsteigen konnte, und startete. Flüsternd jagte der riesige Wagen los. Lediglich die Reifen protestierten kreischend, als Zamorra die Handbremse scharf anzog, den Wagen herumschleudern ließ und damit auf ein langes Wendemanöver verzichten konnte. Mit Vollgas raste er los.
Schon nach kurzer Zeit war er auf der Autobahn, zahlte widerwillig die Gebühr und preschte vorwärts. Offenbar war an diesem Mittag kein Dienstwagen oder Motorrad der polizia stradale unterwegs, um ihn wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung anzuhalten.
Zamorra fieberte innerlich. Er wußte Teri in Gefahr, und derjenige, der sie bedrohte, tat dies sicher nicht aus reinem Freizeitvergnügen. Es mußte etwas mit dem Buch zu tun haben. Zamorra bedauerte, daß er nicht über Druiden-Fähigkeiten verfügte und den Weg ein wenig abkürzen konnte.
In Neapel dann bis zum Hafenbereich und somit zum Hotel vorzudringen, erwies sich noch einmal als Tortur. Zamorra parkte im Halteverbot und sprang aus dem Wagen.
»Was jetzt?« fragte Nicole.
»Teris oder mein Zimmer«, sagte er. »Komm…«
Sie stürmten in das Hotel und jagten per Lift nach oben. Aber große Hoffnungen, noch etwas ausrichten zu können, hatte Zamorra nicht mehr. Über eine Stunde war mittlerweile vergangen, und in dieser Zeit konnten ein paar Dutzend Morde geschehen…
***
Der Lava-Dämon verließ das Wasser, das seine Beine umströmte, wieder. Als er das Ufer erreichte, klatschte er einmal in die Hände, und noch bis dahin haftengebliebene Asche rieselte auf den weißen Sand hinab.
Langsam verblaßte das Glühen auf seinem Lavakörper, wurde dunkler und erlosch schließlich. Gleichzeitig aber änderte sich seine Struktur. Aus der zwar beweglichen, aber harten Masse wurde etwas Weiches, Verformbares. Kleidung bildete sich, und auf dem Kopf wuchsen Haare. Es dauerte nicht einmal eine Minute, dann stand Salvatore Prescetti am Strand.
Er war es nicht. Es war nur eine Maske. Eine von zweien, die dem Lava-Dämon jetzt zur Verfügung standen.
Er sah sich nicht um. Er wußte ja, daß von seinem Opfer nur Asche zurückgeblieben war. Dafür aber konnte er jetzt jederzeit Lucias Gestalt annehmen.
Gleichzeitig hatte er auf diese Weise eine Zeugin seines Entstehens und seines ersten Mordes beseitigt. Sie konnte ihn nicht mehr verraten.
Aber hatte sie das nicht schon getan?
Langsam, ganz langsam flossen die Erinnerungen Lucias in sein Gedächtnis. Verwaschen nur, aber immerhin so, daß er damit arbeiten konnte. Da waren ein Kleid und eine Telefonnummer…
Der Besitzer der Telefonnummer war eingeweiht. Der Lava-Dämon schnipste mit den Fingern, wie es der echte Salvatore Prescetti getan hätte. Er mußte sich um diese Telefonnummer kümmern, herausfinden, zu wem sie gehörte. Eventuell mußte der Betreffende ebenfalls vernichtet werden.
Und wenn es sein mußte, noch mehr Menschen. Der Lava-Dämon war da nicht kleinlich. Nur seine eigene Existenz zählte. Das Leben von Menschen spielte für ihn keine Rolle. Was waren sie denn schon? Aschehäufchen, nachdem er sie berührte!
Der falsche Salvatore stieg wieder in den Fiat, wendete und fuhr zur Straße hinauf.
Weitere Kostenlose Bücher