0228 - Ratten-Tanz
plötzlich verschwinden kann. Am besten legen Sie ihn in Ketten.«
»Das«, bemerkte der junge Arzt grimmig, »ist nicht unsere Sache, sondern die der Polizei.«
»Worauf Sie sich verlassen können«, grollte Maidonnes. »Wir lassen ihn abholen, und Ihr Vorschlag mit den Eisenketten, Mademoiselle, ist gar nicht so schlecht! Der Bursche wird ausbruchsicherer untergebracht als einst die Todeskandidaten in der Bastille.«
Nicole sah wieder zu Zamorra. Unwillkürlich zuckte sie zusammen.
Während sie sich mit Sonnier beschäftigten, war das grüne Leuchten um den Parapsychologen erloschen…
***
Nicoles Gedanken überschlugen sich für die Länge von Sekunden. Was war geschehen? War der magische Kampf in Zamorra beendet? Wie war die Entscheidung ausgefallen? War Zamorra jetzt Ratte - oder war er Mensch geblieben?
Sie mißachtete die Gefahr, die auf sie lauerte, falls Zamorra zur Wert-Ratte geworden war, und trat zu ihm. Völlig ruhig lag der Meister des Übersinnlichen da. In gleichmäßigen Atemzügen hob und senkte sich seine Brust. Das Amulett war von der Halsverletzung wieder abgerutscht und lag neben dem Kissen. Auch die Silberscheibe glühte nicht mehr, und das Bild im Zentrum war erloschen, um wieder das altbekannte Zeichen des fünfzackigen Stern zu zeigen.
»Zamorra!« flüsterte Nicole. »Chef, Schatz… was ist mit dir geschehen?«
Sie sah den Arzt hinter sich stehen. »Können Sie ihn wieder wachbekommen?« fragte sie.
Der schüttelte den Kopf. »Erst einmal wird die Halsverletzung versorgt. Jetzt kann man ja an ihn heran, ohne daß einen das Glühen irritiert…«
Er verschwand aus dem Zimmer und kam ein paar Minuten später wieder mit Desinfektionsmitteln und Verbandsmaterial zurück.
»Daß der Biß nicht blutet, macht mich fast irre«, murmelte er während seiner Arbeit. Schließlich setzte er ein Pflaster auf, um die Wundränder zusammenzupressen. »Eigentlich müßte er Schmerzen haben…«
In diesem Moment erwachte Zamorra von selbst. Langsam, ganz langsam öffnete er die Augen.
Nicole hielt den Atem an. Sie erwartete fast, rotglühende Augen zu sehen wie bei Doktor Sonnier.
Aber Zamorras Augenfarbe war normal!
Spontan beugte sich Nicole über ihn, küßte ihn sanft. Ein Lächeln umspielte Zamorras Mund, dann tastete er mit einer Hand zum Hals und fühlte nach dem Pflaster.
»Alles in Ordnung?« fragte Nicole besorgt.
Zamorra drehte den Kopf. »Noch einen Kuß«, murmelte er, »dann verrate ich es dir.«
Da wußte sie, daß er wieder der alte war, und erleichtert folgte sie seiner Aufforderung. Erst nach einer Weile lösten sich ihre Lippen wieder voneinander.
Zamorra richtete sich halb auf. Er fühlte nach seiner Brust, vermißte das Amulett. »Neben dir«, sagte Nicole schnell. Zamorra sah es und hängte es sich wieder um. Dann stand er auf und reckte sich.
»Gut«, sagt er. »Ich spüre den Biß nicht mehr. Hm…«
»Was hmst du?« fragte Nicole. »Stimmt was nicht?«
»Da ist etwas«, sagte der Parapsychologe. »Etwas ruft nach mir.«
Da glaubte sie in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen…
***
Eine Stunde später saßen sie in dem kleinen Restaurant, das sich gegenüber der Präfektur befand. Zamorra schob den Teller zurück, tupfte mit der Serviette die Lippen ab und knüllte das Papier dann zusammen, um es nach der Bedienung zu werfen. »Einen Kaffee hätte ich noch gem.«
Er erntete einen bösen Blick und ein spitzes »Kommt sofort«.
»Du benimmst dich unmöglich«, tadelte Nicole.
»Einmal im Jahr darf ich auch«, sagte er. »Wenn ich daran denke, wie lange wir warten mußten, bis überhaupt die Speisekarte apportiert wurde?«
»Und«, fragte Philippe mißmutig, »was machen wir nun?«
»Reiten Sie nicht dauernd auf Ihrem sogenannten Feierabend herum«, nörgelte Maidonnes. »Sie feiern ja doch nicht.« Er fischte eine seiner Superschwarzen aus der Tasche, setzte sie kunstvoll in Brand und begann die zahlreichen Fliegen zu vergiften.
Philippe hüstelte. »Müssen Sie denn schon wieder dieses scheußliche Kraut qualmen, Chef?«
»Ich muß nicht«, beschied ihm Maidonnes, »aber ich will! Aber um Ihre Frage aufzugreifen: Was machen wir nun?«
Zamorra strich sich über seine Leibesmitte. »Ein voller Bauch«, philosophierte er, »eignet sich besser zum Pläneschmieden als ein leerer. Demzufolge werden wir jetzt unser weiteres Vorgehen planen.«
»Eben dieses«, murmelte Nicole boshaft, rückte ihren Stuhl dicht neben Zamorra und schmiegte sich zärtlich an
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