0257 - Ein Grabstein ist kein Kugelfang
wußte nicht, ob wir harmlose Bürger waren, die es nicht wagen würden, ihn aufzuhalten, oder Männer die zu seinen besonderen Feinden gehörten. Männer, die das Gesetz vertraten und die Aufgabe hatte1, ihn zu fangen - tot oder lebendig.
Ich hörte, wie gedämpfte Schritte die Treppe links neben dem Lift herabkamen, und beschloß zu handeln.
»Nehmen Sie die Hände hoch, Haitch! Sie sind verhaftet. Machen Sie keinen Unsinn! Sie können Ihre Lage nur…«
Ich brach mitten im Satz ab, sprang vor und stürzte mich auf den fünffachen Mörder. Während ich sprach, hatte er langsam die rechte Hand aus der Manteltasche gezogen. An der Ausbuchtung des Stoffs stellte ich fest, daß er seine Pistole in der Hand hielt.
Mein Angriff kam unvermittelt. Trotzdem nicht schnell genug, um Haitch daran zu hindern, die Pistole vollends herauszuziehen. Es gelang ihm knapp. Er brachte die Pistole aus der Tasche, schwenkte den Lauf nach vorn und drückte in dem Moment ab, da meine Faust seinen Unterarm traf.
Es gab ein dumpfes Plopp. Und im gleichen Augenblick splitterte die große Milchglasscheibe, die in die weitschwingende Haustür eingelassen war. Die Kugel war handbreit an meiner linken Hüfte vorbeigegangen .
Mein Schlag auf Haitchs Unterarm war mit solcher Gewalt geführt, daß der Mörder seine Waffe fallen ließ. Aber ich war taktisch falsch vorgegangen. Dadurch daß ich im Sprung mit der rechten Faust auf seinen rechten Unterarm schlug, vollführte ich eine halbe Körperdrehung, die bewirkte, daß ich für einen Sekundenbruchteil mit der rechten Körperseite zu Haitch gewandt stand. In diesem Augenblick stand ich ungedeckt und ohne die Möglichkeit, eine weitere Aktion mit der erforderlichen Schnelligkeit zu starten. Mein linker Arm war auf der von Haitch abgewandten Seite. Meinen rechten Arm hielt ich nach unten gestreckt.
Haitch zeigte sich als erfahrener Kämpfer und nutzte die Situation sofort aus.
Noch während seine Pistole auf den Boden polterte, knallte mir der Mörder einen linken Heumacher mit solcher Gewalt hinter das rechte Ohr, daß mein Hut davongewirbelt wurde. Der Schlag schüttelte mich durch. Für einen Augenblick verlor ich die Übersicht. Es war, als wackelte mein Hirn wie ein Lämmerschwanz bei Windstärke zwölf.
Haitch trug an der linken Hand einen schweren Siegelring. Er traf mich damit am unteren Zipfel des Ohrläppchens. Die anderen Knöchel seiner Faust waren also genau auf meine Ohrmuschel plaziert.
Zum Glück schien mein Fausthieb eine vorübergehende Lähmung in seinem rechten Arm verursacht zu haben. Denn der nächste Haken, mit dem er mich abfangen wollte, war so ungeschickt, daß ich ihn mühelos mit dem Ellenbogen abblocken konnte.
Ich schoß aber durch die Wucht des Schlages getrieben, ein Stück an Haitch vorbei, wirbelte auf dem Absatz herum und riß dabei einen linken Haken hoch, der Haitch an der rechten Schulter traf.
Der Mörder stolperte einen Schritt zurück. Ich setzte nach.
Haitch zog ein Knie an. Ich wich aus.
Haitch ging einen Schritt zurück, duckte sich etwas zusammen und schoß einen wuchtigen Haken ab, der nach meinem Kopf gezielt war. Ich nahm den Kopf zurück, der Schlag zischte ins Leere -dicht an meiner Nase vorbei, und Haitch kam, durch den eigenen Schwung getrieben, auf mich zugeschlittert.
Sein rechter Arm war offenbar noch nicht bewegungsfähig, sein linker Arm noch nicht wieder bereit, den Körper zu decken.
Haitch lief in einen Konterschlag, hinter dem mindestens Dreiviertel meines Gewichts lagen. Meine Faust wuchtete gegen die Magengrube des Mörders, und ich glaube, auch einem Ochsen wäre dabei die Puste ausgegangen.
Haitch ließ ein gurgelndes Geräusch vernehmen. Mein Schlag stoppte ihn mit solcher Wucht, daß es aussah, als sei Haitch gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen.
Für zwei Sekunden schien der Vogelfreie größer zu werden. Mein Schlag hob ihn empor. Dann fiel sein Oberkörper nach vorn, verharrte sekundenlang und plumpste schließlich mit einem dumpfen Geräusch auf den dicken Läufer der Halle.
Haitch lag zu meinen Füßen. Sein Atem ging pfeifend. Sein Gesicht nahm eine gelbliche Färbung an. Mit einer matten, unsicheren Handbewegung griff sich der Verbrecher an die Magengegend.
Ich trat zurück. Meine Knie waren weich wie ein Pudding vor dem Abkühlen.
Dicht neben dem Lift war Phil in ein komisches Handgemenge verwickelt. Er versuchte möglichst zart, einer attraktiven Blondine die gefährlich aussehende Pistole zu entwinden,
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