0307 - Abrechnung mit Jane Collins
faßte an die rechte Ecke des Karton-Umschlags und spürte plötzlich, wie mein Herz schneller schlug. Ich stand in der Tat an einem Wendepunkt. Vielleicht wurde jetzt alles anders, wenn ich das Buch öffnete. Möglicherweise hatte Jane mit allem recht, aber dieses Risiko mußte ich einfach eingehen.
Ich konnte nicht mehr zurück.
Noch einmal streifte mein Blick das Gesicht der Detektivin. Es war angespannt und bleich wie frischer Kalk. Nein, sie schauspielerte nicht, hier ging es tatsächlich um ihre Existenz. Obwohl sie auf der anderen Seite stand, konnte ich mich gut in ihre Lage hineinversetzen.
Ihre Mundwinkel zuckten. Sie atmete schwer und stoßweise. Die Augen wirkten verdreht, als würde sie nicht nach außen, sondern nur mehr nach innen blicken.
»Machen Sie schon!« drängte mich van Doolen. Es lag auf der Hand, daß dieser Mann seine Rache wollte. Schließlich verdankte er einer Hexe den Verlust seiner Hand.
Ich schlug den Deckel um.
Jetzt mußte es sich entscheiden. Bei diesem Vorgang hatte ich nicht auf das Buch geschaut, sondern Jane keine Sekunde aus den Augen gelassen.
Es geschah - nichts!
Alles blieb, wie es schon gewesen war. Die Aufregung war umsonst, und ich, der ich die Luft angehalten hatte, konnte wieder ausatmen.
Jane Collins hockte wie eine Statue im Sessel. Sie wagte nicht einmal, mit den Augenwimpern zu zucken. Daß sie atmete, war ebenfalls kaum zu hören, aber sie hatte sich geirrt.
»Nun?« Mein Wort tropfte in die lastende Stille. Selbst der Makler hielt sich zurück. Niemand gab mir eine Antwort. Nach einer kleinen Pause übernahm ich wieder das Wort. »Es ist nichts passiert, Jane. Du hast dich geirrt.«
Sie schüttelte den Kopf. Wie ein Hauch wehte ihre Antwort. »Ich habe mich nicht geirrt. Du wirst es erleben, wenn du…« Danach verstummte sie, als hätte sie schon zuviel gesagt.
»Was werde ich erleben?« Ich hakte schnell nach.
»Nichts, vergiß es!« flüsterte sie.
Das wollte ich auf keinen Fall. Wenn ich einmal den Beginn eines roten Fadens in der Hand hielt, ließ ich ihn nicht mehr los. Auch wenn mir Jane Collins dies sagte.
»Rede!«
Sie sprach nicht. Dafür bäumte sie sich im Sessel auf. Ihre gefesselten Hände stemmte sie auf eine Lehne. Sie blieb in einer Schräglage, und als sie nun den Mund öffnete, um ein Wort hervorzustoßen, klang es rauh und kratzig.
»Wikka…«
Ich wußte Bescheid. Die Oberhexe hatte Kontakt zu ihrer Dienerin aufgenommen. Sie wollte ebenfalls eingreifen und mich nicht dazu kommen lassen, das Buch zu öffnen.
»Was ist geschehen?«
Jane hörte mich nicht. Aus einer nicht sichtbaren Welt mußte sie etwas getroffen haben, das nur für sie zu hören war. Vereinzelte Worte sprudelten allerdings über ihre Lippen, und ich verstand Verräter und einiges mehr.
»Kann ich das Buch haben?« hörte ich dicht an meinem Ohr die zischelnde Stimme des Maklers.
Ich drehte den Kopf.
Sein Gesicht war schweißnaß. Die Augen glänzten. Die Lippen hatte er zurückgezogen. »Bitte, geben Sie es mir! Ich weiß genau Bescheid. Sie müßten erst suchen. Man hat mich informiert. Bitte…«
»Worüber?«
»Ich kenne die Verbindung zwischen dem Stein und einem bestimmten Kapitel des Buchs.«
Log er, log er nicht? Sicherheitshalber legte ich meine rechte Hand auf die Träne des Teufels. So konnte van Doolen sie mir nicht mit einem schnellen Griff stehlen.
»Machen Sie schon!« Er drängte jetzt.
»Gut«, sagte ich. »Meinen Segen haben Sie. Schlagen Sie die Seite auf, dann werden wir weitersehen.«
Er nickte heftig. »Ja, so muß es auch sein!«
Jane war schweißnaß. Ihr Gesicht glänzte. Die gefesselten Hände waren von der Lehne abgerutscht und lagen jetzt neben ihr auf der ledernen Sitzfläche.
Der Anfall war vorbei. Ihr Atem hatte sich wieder beruhigt, die Unruhe allerdings war nach wie vor vorhanden.
»John, hör auf!« flehte sie mich an. »Du veränderst mein gesamtes Leben.«
»Kann es noch schlimmer kommen?« gab ich zurück. »Wohl kaum. Wir stehen an einem Wendepunkt, und ich denke nicht daran, so einfach umzukehren. Das nicht!«
»Aber du ahnst nicht, auf was du dich einläßt.«
»Schon.«
Der Makler stand auf. Er blieb noch gebückt, damit er das auf dem Tisch liegende Buch anschauen konnte. Hastig befeuchtete er mit Speichel seinen rechten Zeigefinger. Dann begann er zu blättern. Ich hörte nur das Knistern des Papiers, versuchte vergeblich, einen Blick auf die Seiten zu erhaschen.
Nicht alle waren nur beschrieben.
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