0325 - Die Loge der Henker
Nacht zwei Menschen schuldig gesprochen wurden. Das Geständnis hatten alle gehört – an der Schuld der beiden Franzosen gab es keinen Zweifel. Natürlich würden sie jetzt versuchen, das Geständnis zu widerrufen – nur um Zeit bis zur Mitternachtsstunde zu haben und dann zum Werwolf zu werden.
Und dann half Ihnen der Teufel.
»Ich bitte die Loge, mich für diese Nacht zu entschuldigen!« hörte der Bürgermeister die Stimme seines Sohnes. »Ich habe dem alten Pepe versprochen, oben an der Rolandspforte nach seinen Schafen zu sehen!«
Esteban Sanchez sah seinen Sohn lange an. Dann nickte er.
»Das Gleiche ließ mir eben Juan Munilla mitteilen«, sagte er augenzwinkernd. »Nun, ich hoffe, daß ihr beiden Kampfhähne einen guten Grund habt. Wer ist es? Consuella Aranjez? Oder Dolores Tubilla? – Du willst nicht reden? Nun gut. Wer werden es ja spätestens erfahren, wenn die Hochzeitsglocken in Estradas läuten!« Der Bürgermeister lachte leise. Auch er hatte vor mehr als zwanzig Jahren drei Kämpfe gegen kräftige Bauernburschen bestehen müssen, bevor er die Möglichkeit hatte, seiner jetzigen Frau offen den Hof zu machen. Und der Junge war jetzt im heiratsfähigen Alter. Es wurde langsam Zeit.
Jetzt wo die Werwölfe gefangen waren und auf ihre Aburteilung und Hinrichtung warteten, bestand keine Gefahr mehr, in der Nacht in die Berge zu gehen. Die Wolfsrudel waren so scheu, daß sie sich nicht an Menschen wagten. Schafe und Ziegen, die an den Abhängen der Berge weideten, waren für sie gefahrlosere Beute.
»Ich denke, ihr werdet beide in dieser Nacht nicht gebraucht!« sagte Esteban Sanchez. »Geht nur und tut das, was ihr vorhabt. Außerdem ist es nicht gerade schön, einen Menschen sterben zu sehen – auch wenn er das Böse in sich trägt und ein Diener des Teufels ist!«
***
Nicole Duval kam schneller vorwärts, als sie angenommen hatte.
Die Straßen in Richtung Süden waren gut ausgebaut und sie konnte den Pferden im Motorraum des Cadillac die Sporen geben.
Als die Dunkelheit sich vollständig über das Land gesenkt hatte, überquerte sie die Grenze nach Spanien. Zwar kam sie jetzt wegen der mehr als schlechten Straßenverhältnisse nicht besonders schnell voran, aber sie hoffte, kurz nach Mitternacht Roncesvalles zu erreichen.
Professor Zamorras Assistentin ahnte nicht, daß sich ganz in der Nähe jener Schlucht, durch die sich die Straße windet und die man die Rolandspforte nennt, eine schicksalhafte Begegnung anbahnte…
***
Langsam mit gemessenen Schritten näherte sich die Prozession der Kuttenträger der verfallenen Abtei San Salvador. Der volle Mond beleuchtete ihren Weg und ließ sie sicheren Tritt fassen.
Die Dämonenhenker schritten zu dem Ort, auf dem nach althergebrachtem Recht das hochnotpeinliche Dämonengericht stattfand.
Schon von Weitem hörten sie die verzweifelten Rufe der beiden Angeklagten.
Ihre Rufe wurden zu Schreien, als sie den langsamen, getragenen Choral der Dämonenhenker hörten, der immer näher kam. Jorge Montez und Alvarez Panes hatten sie an den Baum gegenüber der Abtei festgebunden, an dem zuletzt Carlos Mondega sein Leben ausgehaucht hatte. Die Stricke waren fest und hätten dem Ansturm eines Elefanten stand gehalten.
Verzweifelt hatten die beiden Franzosen den ganzen Tag versucht, ihren beiden Bewachern ihre Unschuld klarzumachen. Doch die beiden Kuttenträger schienen plötzlich taub zu sein. Sie reagierten weder auf Bitten noch auf zornige Drohungen. Und vor allem zogen sie die schwarzen Masken nicht von ihren Gesichtern. Nur ihre kalten Augen glitzerten die beiden Studenten mitleidlos aus dem nachtfarbenen Stoff an.
In der niedersinkenden Dämmerung wirkten die beiden Dämonenhenker noch unheimlicher. Die beiden Gefangenen sahen, daß sie jetzt Vorbereitungen von sonderbarer Art trafen. Aus den Ruinen schleppten sie Tische und Stühle herbei, die dort verborgen waren.
Schwarze Tücher mit sonderbaren Symbolen wurden auf den Tischen ausgebreitet. Ein eigenartiges Nebeneinander zwischen christlicher und esoterischer Mystik, in denen sich auch Symbole des Islam wiederfanden. Kerzen auf Holzständer wurden aufgestellt und entzündet. Die Flammen wurden mit gläsernen Windlichtern geschützt.
Auf den mittleren Tisch stellten die beiden Dämonenhenker einen großen Ständer mit einem Buch, dem man ein ehrfurchtgebietendes Alter ansah. Und dann kam das Schlimmste. Die Hinrichtungswerkzeuge, die auf einem Tisch unmittelbar neben den beiden Gefangenen
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