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Mr. Alvarez' Vermutung anzuzweifeln, seine Tochter sei zu den Delacroix' unterwegs. Es fällt mir schwer zu glauben, dass eine Frau ihres gesellschaftlichen Standes, die ihr Leben lang beschützt und verhätschelt wurde, fähig sein soll, ganz allein über Land zu reisen."
„Ich begreife, weshalb dir Zweifel kommen, würde an deiner Stelle Miss Alvarez jedoch nicht unterschätzen", erwiderte Philip ernst. „Die Verzweiflung treibt Menschen
manchmal dazu, Dinge zu tun, die sie üblicherweise nicht machen würden."
„Verzweiflung!" Clay lachte abschätzig auf. „Miss Al-varez weiß nicht, was das Wort ,Verzweiflung' bedeutet!"
Philip war der verbitterte Unterton in der Stimme des Sohnes nicht entgangen und furchte über dessen mangelndes Mitleid die Stirn. „Sei dir dessen nicht so sicher! Du kennst nur die eine Seite der Geschichte."
„Ich habe genug gehört, um zu wissen, dass Miss Alvarez eine verzogene, durchtriebene junge Frau ist. Sie würde alles tun, um ihren Kopf durchzusetzen, und es ist ihr gleich, wem sie dabei wehtut", antwortete Clay verächtlich und leerte dann das Glas bis zur Neige.
„Und aus eigener Erfahrung weißt du, dass ihr Vater ein Bastard ist, der alles tut, was ihm nötig erscheint, um seinen Willen zu bekommen", sagte Philip sachlich. „Ich meine, seine Tochter hat einen guten Lehrmeister gehabt."
Es überraschte Clay, dass sein Vater Miss Alvarez' Verhalten so gut wie verteidigte.
Er schaute auf und sah ihn mit hartem Blick an. „Frauen sind von Natur aus intrigant und egoistisch. In dieser Hinsicht musste niemand Miss Alvarez etwas beibringen", erwiderte er geringschätzig und weigerte sich zu glauben, dass sie einen sehr guten Grund für ihre Flucht haben mochte.
„Nicht alle Frauen sind so wie deine Mutter", wandte Philip leicht tadelnd, ein. In Anbetracht des verbitterten Untertons, der aus der Stimme des Sohnes geklungen hatte, setzte er eine beunruhigte Miene auf.
Nach dieser Behauptung des Vaters dachte Clay unwillkürlich an die sanftmütige, fromme Schwester Maria Regina, verdrängte diese Gedanken jedoch sogleich. Er würde die ganz besonders vorteilhaften Erinnerungen an sie nicht dadurch abwerten, dass er sie in sein allgemeines Urteil über Frauen einbezog.
„Du bist schrecklich nachsichtig, wenn ich bedenke, was Mutter dir angetan hat", entgegnete er.
Vater und Sohn hatten nie offen über diese schreckliche Zeit in ihrer beider Leben gesprochen, da das zu schmerzlich für sie gewesen wäre. Philip wusste, Clay war durch das schändliche Verhalten der Mutter zutiefst verletzt. Nun schockierte ihn indes die Erkenntnis, dass der Sohn so viele
seelische Wunden zurückbehalten hatte. Er hatte gehofft, er möge, derweil er nicht daheim war, den Verrat der Mutter verwunden haben. Es beunruhigte ihn sehr, dass das nicht der Fall war.
„Das ist jetzt alles Vergangenheit, mein Sohn. Was mit deiner Mutter passiert ist . . ., nun, das ist eine Sache. Dein Umgang mit Miss Alvarez ist ganz etwas anderes."
„Vielleicht, aber zunächst muss ich sie finden, ehe ich anfangen kann, mir Sorgen darüber zu machen, wie ich mit ihr umgehen werde." Clay tat den feinfühlig vorgebrachten Rat mit einem Achselzucken ab, stand auf und schenkte sich Whisky nach. Er wusste, dass er keiner Frau trauen durfte.
„Du wirst Miss Alvarez finden", meinte Philip zuversichtlich.
„Ich hoffe, du hast Recht. Devs Leben hängt davon ab, und falls ich sie wieder nicht finde ..."
„Wieder nicht?"
„Ich glaubte, genau zu wissen, wo sie ist, nachdem ich Monterey verlassen hatte, habe mich jedoch geirrt." Clay erzählte seinem Vater, er habe die falsche Postkutsche verfolgt, und berichtete dann, was geschehen war, als er sie eingeholt hatte. „Ich habe drei Tage verloren!"
„Sie waren kaum vergeudet, Clay. Du hast den unschuldigen Menschen das Leben gerettet."
„Ja, aber ich habe verdammt nichts getan, um Dev zu helfen."
Philip stellte sich hinter den Sohn und legte ihm mit väterlicher Geste die Hand auf die Schultern. „Mach dir keine Sorgen, mein Sohn. Alles wird in Ordnung kommen.
Du hast immer erreicht, was du dir vorgenommen hattest."
Clay trank einen Schluck Whisky. Der Vater mochte unbeirrbar an ihn glauben, doch er zweifelte an sich selbst. Viel zu gut erinnerte er sich der Zeit, in der er kläglich versagt hatte. Die Ähnlichkeiten zwischen seiner Mutter und Miss Alvarez waren erschütternd, so dass sein Bestreben, die junge Dame zu finden und zu ihrem Vater
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