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dass er sie intensiv beobachtete. Sie schaute auf und konnte, als sie ihn beim Wassertrog bemerkte, einen kleinen erschrockenen Ausruf nicht verhindern. Er hatte den Oberkörper entblößt, und im schwachen Mondlicht schimmerte seine sonnengebräunte Haut feucht. Es war indes nicht die Schönheit seines kräftigen Körpers, die ihre Aufmerksamkeit fesselte, sondern sein glatt rasiertes Gesicht.
In diesem Moment hielt sie ihn für den wundervollsten Mann, den sie je gesehen hatte. Sie bekam einen trockenen Mund, und ihr Herz machte einen Sprung, während sie ihn fasziniert betrachtete. Sie hatte ihn schon attraktiv gefunden, ehe er sich den Bart abgenommen hatte, doch nun . . .
Sie ließ den Blick über sein Gesicht schweifen und liebkoste förmlich sein hartes, energisches Kinn und die festen, sinnlich geschwungenen Lippen. Sie verspürte ein eigenartiges Sehnen sich regen und geriet unvermittelt in einen Zwiespalt der Gefühle. Körperlich fühlte sie sich von Mr. Cordeil angezogen wie eine Motte vom Licht. Es verlangte sie nach ihm, wie sie noch nie einen Mann begehrt hatte, und dennoch bedeutete genau dieses immens starke Verlangen die größte Gefahr.
Innerlich erschütterter, als sie sich eingestehen mochte, war sie bemüht, sich das geringe Maß an Selbstbeherrschung zu bewahren, das sie soeben erst erreicht hatte.
Sich innerlich gegen ihn wappnend, rang sie sich, wie sie hoffte, ein heiteres Lächeln ab und fing an, zum Haus zurückzukehren.
„Gute Nacht, Mr. Cordell", sagte sie fröhlich, als sie an ihm vorbeikam, sorgsam darauf bedacht, ihn nicht anzusehen.
„Gute Nacht, Schwester", erwiderte er in einem spröden Ton, der sie, ohne dass ihm das bewusst sein konnte, innerlich aufwühlte. Er sah ihr hinterher und überlegte, wie sie es fertig brachte, angesichts der hässlichen Seiten des Lebens so ausgeglichen zu sein. Er wünschte sich, etwas von ihrem Seelenfrieden zu haben.
Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als Reina die Postkutschenstation betrat. Es erleichterte sie ungemein zu sehen, dass Mr. Hanley die Freundlichkeit gehabt hatte, für etwas Abgeschiedenheit zu sorgen. Überrascht stellte sie fest, dass die anderen sich schon früh zurückgezogen hatten. In gewisser Weise war sie darüber froh, denn sie brauchte noch etwas Zeit, um Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
„Dort neben dem Herd steht heißes Wasser für Sie", rief Ruth ihr vom behelfsmäßigen Nachtlager aus zu, das sie sich neben der schlafenden Tochter gemacht hatte.
„Danke", antwortete Reina. Rasch zog sie den Habit aus, behielt nur die baumwollene Leibwäsche an und wusch sich. Im Kloster hatte sie sich gesträubt, sich von der hübschen seidenen Unterwäsche zu trennen, doch Maria war unnachgiebig gewesen. Jetzt war sie froh, auf die Freundin gehört zu haben, denn es wäre ihr schwer gefallen, Mrs. Hawks zu erklären, wieso sie so elegante, spitzenbesetzte Unterwäsche trug.
Sie war emsig damit beschäftigt, sich vom Schmutz zu reinigen, als sie Mr. Cordell ins Haus kommen hörte. Jäh erstarrte sie, einem Reh gleich, das Gefahr wittert, und wartete. Sobald sie schließlich die Geräusche des sich zu Bett begebenden Kopfgeldjägers vernahm, entspannte sie sich und beendete die Toilette.
Reina fühlte sich etwas erfrischt, wenngleich sie noch immer leicht angespannt war.
Sie zog das lange Nachthemd an, holte dann in der Annahme, allein zu sein, die Haarbürste aus dem Koffer und setzte sich vor dem nur noch wenig Wärme ausstrahlenden Herd auf einen Stuhl. Dann begann sie, sich das Haar zu bürsten, und kostete das angenehme Gefühl aus. Zum ersten Mal, seit sie Monterey verlassen hatte, war sie jetzt in der Lage, dies zu tun, und empfand das als sehr wohltuend.
Sie ließ den Gedanken freien Lauf, während sie das volle rabenschwarze Haar bürstete. Sie vermisste ihr Zuhause und das bequeme Leben, das sie dort geführt hatte. Ungeachtet aller Schwierigkeiten, die sie zu bewältigen hatte, war sie jedoch immer noch fest entschlossen, nicht zum Vater zurückzukehren. Sie verachtete Mr.
Marlow so sehr, dass sie nicht einmal in Betracht ziehen mochte, einen Augenblick mit ihm zu verbringen, geschweige denn ihr Leben. Sie fand, der Vater habe bei der Auswahl des Kopfgeldjägers mehr Geschmack bewiesen als bei der ihres Verlobten, und fragte sich bedauernd, weshalb, wenn er schon gemeint hatte, ihr einen Mann zum Gatten bestimmen zu müssen, dann nicht jemand wie Mr. Cordell von ihm ausgesucht worden war. Mr.
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