037 - Klinik der Verlorenen
Haut?«
»Nein«, sagte ich.
»Bekommen Sie Schlafmittel?«
»Jede Menge«, sagte ich grimmig. »Wenn Sie gesund werden wollen, so ist das nötig.«
»Das glaube ich nicht«, widersprach ich. »Die Behandlung ist ja die gleiche für alle, egal, an welcher Krankheit man leidet.«
Ariane warf mir einen flehenden Blick zu.
Der Professor drehte mir den Rücken zu.
»Gut«, sagte er zu Eric und Ariane. »Setzen Sie die Injektionen fort. Verdoppeln Sie die Dosis.«
Sie gingen hinaus.
Wer war dieser Professor? Eric benahm sich in seiner Gegenwart wie ein folgsamer Schüler. Er hatte nicht protestiert, als der Alte die Dosis verdoppelte. War nicht Eric der Chef hier?
Am Nachmittag schlief ich tief und fest und bemerkte nicht, daß drei neue Patientinnen ankamen. Sie belegten die Betten Nummer acht und neun und jenes von Dominique. Nun waren nur mehr jenes von Olga und jenes von Rosy leer.
Wir waren sieben im Saal, und drei von uns waren irgendwo …
Welches Schicksal erwartete die Unglücklichen?
Um fünf Uhr nachmittags kam Ariane mit den Spritzen und, wie letztesmal, täuschte sie vor, mir eine zu geben.
»Haben Sie gut geschlafen, Lise?« fragte sie mich.
»Ja, mit all diesen Schlafmitteln …«
»Nehmen Sie sie nicht mehr«, sagte sie leise. »Werfen Sie sie ins WC.«
Ich sagte ihr nicht, daß ich das immer schon getan hatte.
Eric kam herein, ging direkt zu meinem Bett und zog sich einen Stuhl heran. Ariane ließ uns allein und nahm sich der drei Neuankömmlinge an. Er tastete nach meinem Puls und fragte: »Lise, Sie haben doch keine Beschwerden mehr, oder?«
»Nein, Herr Doktor.«
»Eric«, korrigierte er.
»Eric.«
»Ich habe mich entschlossen, Ihnen keine Medikamente mehr zu geben. Ich glaube. Sie können auch ohne auskommen, nicht wahr? In zwei oder drei Tagen können Sie mit der Arbeit im Sekretariat beginnen. Ariane wird sich freuen, eine Hilfe zu bekommen.«
Mein Herz klopfte.
»Danke, Eric. Ich hoffe, ich kann wieder nach Hause gehen?«
»Natürlich, Elise. Aber Sie vergessen nicht auf unseren Ausflug?« Er sah mich besorgt an.
Mein Gott, dachte ich erschreckt. Hatte ich mich auch schon verändert? Plötzlich wünschte ich, Eric möge gehen. Ich wollte mich in meinem Taschenspiegel betrachten.
Er nahm meine Hand.
»Nächsten Sonntag habe ich keinen Dienst. Wollen wir zeitig aufbrechen?«
Was sagte er da? Nächsten Sonntag? Vielleicht war ich da schon auf Nimmerwiedersehen im ‚Hinterzimmer’ verschwunden.
»Ich möchte meine Röntgenbilder sehen, Herr Doktor«, sagte ich.
Er war überrascht.
»Ihre Röntgenbilder? Sie können doch nichts darauf erkennen. Das kann nur der Arzt.«
»Ich kenne mich damit recht gut aus. Es war nicht das erste Mal, daß mein Magen geröntgt wurde. Dr. Bessin, der mich früher behandelte und der sich auch tatsächlich um den Gesundheitszustand seiner Patienten sorgte …«
»Was wollen Sie damit sagen?« unterbrach er mich.
»Genau das, was Sie verstanden haben, Herr Doktor.«
Er lächelte ironisch.
»Na gut, ich werde Ihnen Ihre Röntgenbilder schicken, Elise. Und dann können Sie sich überlegen, ob Sie meine Einladung annehmen oder ablehnen.« Er erhob sich langsam. »Ich habe den Eindruck, Sie glauben nicht an mein Gefühl, für Sie, Elise. Das tut mir weh. Ich verschone Sie vor den Qualen der Injektionen Professor Sarlieffs, biete Ihnen eine Stellung in meinem Haus an, und Sie danken es mir mit ungerechten Vorwürfen.«
»Ich bin nicht hierher gekommen, um von Professor Sarlieff behandelt zu werden, sondern von Ihnen.«
»Der Professor ist ein großartiger Arzt. Ich bin überzeugt davon, daß sein Serum jede Krankheit heilt. Das werden Sie erst später merken.«
Meine Leidensgefährtinnen stellten mir die Neuankömmlinge vor. Norma Vigors lag auf meiner Seite, neben Henriette, auf acht. Mary Roussinet auf Nummer neun. Die dritte hatte Dominiques Bett. Sie hieß Clarice Leew und war Engländerin. Sie waren alle drei um die Zwanzig und hatten natürlich keine Verwandten.
Ich griff nach meiner Handtasche und holte meine Puderdose heraus. Als ich mein Gesicht im Spiegel sah, war ich eine Sekunde lang sprachlos: Die Haut war völlig glatt und rosig. Die beiden kleinen Falten in meinen Mundwinkeln waren verschwunden, desgleichen die Falte auf meiner Stirn.
Eric hatte meine Veränderung bemerkt, ich war ganz sicher.
Ich verstaute meine Handtasche wieder und stieg aus dem Bett. Ich wollte die Gesichter der anderen genau betrachten und sehen, ob
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