0372 - Monster in Marrakesch

Abdallah.
    Nicole nickte. »Das werden wir gleich haben«, sagte sie. Sie sah noch eine einzige Chance für sich. Kommissar al Shadras Anweisung zu befolgen und die Wohnung nicht zu verlassen, ergab keinen Sinn mehr, weil die vermeintlich Tote ja fort war. Aber da war vielleicht noch der schwarze Wagen…
    Nicole nickte. Abdallah zu und stürmte ins Treppenhaus hinaus. Dort standen immer noch Neugierige, die sofort in arabisch auf sie einredeten.
    »Hat gerade eine Frau im blauen Hosenanzug die Wohnung verlassen?« fragte Nicole. Verständnislos wurde sie angesehen. Offenbar sprach hier niemand französisch. Kopfschüttelnd lief Nicole die Treppe hinunter und aus dem Haus. Sie sah sich nach rechts und links um und entdeckte Hassan Husein.
    »Das ging aber schnell«, stieß sie hervor. Im nächsten Moment fiel ihr ein, daß al Shadra Kereb und Bey schicken wollte.
    »Was ging schnell?« fragte er. Er wirkte etwas verlegen.
    »Ihr Auftauchen… haben Sie meine Doppelgängerin gesehen?«
    »Ihre… fangen Sie schon wieder damit an?« fragte er.
    Sie ließ ihn stehen. Er wußte offenbar von nichts. Hatte er ihr nur so nachspioniert, um zu erfahren, was sie vorhatte? Sie begann dorthin zu laufen, wo sie vorhin in der Seitenstraße den schwarzen Ford gesehen hatte.
    Er fuhr gerade an.
    Er schoß förmlich auf die Hauptstraße, schleuderte dabei und raste mit hoher Geschwindigkeit auf Nicole zu. Unwillkürlich duckte sie sich. Aus dem geöffneten Wagenfenster schmetterte ein fahlblauer Blitz, der sie knapp verfehlte. Die hinter ihr getroffene Hauswand knisterte. Ein Riß bildete sich im Mauerwerk, Mörtel bröckelte heraus. Wieder flammte ein Blitz auf.
    Inspektor Husein lag schon flach auf dem Boden, rollte sich herum und zog seine Dienstwaffe aus dem Schulterholster. Er richtete die Pistole auf den Ford, schoß aber nicht, weil im gleichen Moment ein Radfahrer aus der nächsten Seitenstraße auftauchte. Husein wollte ihn nicht gefährden.
    Nicole sprintete schon wieder. Es war zwar fast aussichtslos, aber mit etwas Glück konnte sie dem Wagen diesmal folgen…
    Nach ein paar Metern wußte sie, daß es Wunschdenken war. Sie bekam ihren R 5 nie schnell genug aus der Seitenstraße.
    Husein stand schon wieder. Erriet er ihre Gedanken?
    »Meiner ist schneller«, schrie er ihr zu und deutete auf einen grauen Citroën, der nur ein paar Meter weiter am Straßenrand stand. Er rannte schon darauf zu und sprang hinein. Nicole zögerte keine Sekunde und riß die Beifahrertür auf. Als sie sich in den Sitz warf, fuhr Husein schon an.
    Eine Polizeisirene begann zu gellen. Mit einer Hand holte er eine Blaulichtkuppel am Kabel unter dem Sitz hervor und drückte sie mit dem Gummisaugfuß durchs Seitenfenster greifend aufs Wagendach. Er lenkte mit einer Hand. Der Kabelstecker wanderte in den Zigarettenanzünder. Auf dem Wagendach begann das Blaulicht zu flakkern. Der Citroën jagte hinter dem schwarzen Ford her, der gerade gut vierhundert Meter vor ihnen abbog.
    »Nicht gut«, rief Nicole Husein zu und deutete auf das Kabel. »Zu auffällig…«
    »Aber es schafft uns freie Bahn…«
    Trotzdem schien er ihr Argument anzuerkennen. Er nahm, während er weiter Gas gab, die Kuppel wieder vom Dach und ließ sie in den Fußraum fallen. Nicole zog den Stecker ab, das nervende Flackern erlosch. Auch die Sirene verstummte.
    »Was ist passiert?« fragte Husein. »Ich bin Ihnen die ganze Zeit über gefolgt, Duval. Was ist in dem Haus geschehen?«
    »Meine Doppelgängerin war da«, sagte Nicole. »Der Taxifahrer wohnt hier. Sie wollte ihn töten, damit er nicht mehr zu meinen Gunsten aussagen kann.«
    »Hm«, machte der Inspektor. Er bog ebenfalls ab. Der Ford war nicht mehr zu sehen. Husein murmelte eine Verwünschung.
    »Wenn er sich nicht in Luft auflöst wie gestern, erwischen wir ihn«, stieß Nicole hervor. Sie forderte das Amulett zutage und aktivierte es. Husein warf ihr einen kurzen Blick zu. »Was soll der Hokuspokus?« fragte er scharf.
    »Vielleicht bringen Sie es übers Herz, mir ein einziges Mal zu glauben«, sagte Nicole. »Ansonsten geht er uns wieder durch die Lappen…«
    »Was waren das eigentlich für blaue Blitze?« fragte Husein.
    Nicole antwortete nicht. Sie konzentrierte sich auf das Amulett und versuchte, mit ihm den Ford zu finden. Sie spürte, daß ihre Kräfte und auch die des Amuletts nachzulassen begannen. Der ständige Gebrauch machte sich bemerkbar.
    »Stop!« schrie sie. »Hier ist er abgebogen! Rechts…«
    Husein