038 - Verbotene Sehnsucht
ihren Bruder an, und dann kam ihr auf einmal ein komischer Gedanke. Samuel lächelte genauso wie der Diener O'Hare: mit den Augen.
Nachdem. Lady Emeline in die Kutsche zugestiegen war, beherrschte sie sich eine ganze Minute lang - was genau eine Minute länger war, als Sam erwartet hatte.
„Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, wieder diese Dinger anzuziehen?"
Missbilligend betrachtete sie seine Beine und seine Füße.
„Wenn mich nicht alles täuscht, sagte ich Ihnen bereits, dass sie sehr bequem sind."
Wahrscheinlich würde sie noch finsterer schauen, wenn sie wüsste, wie entzückend er sie fand, wenn sie sich echauffierte. Sie trug ein aufwändig besticktes hellrotes Kleid mit blassgelbem Unterrock. Die Färben waren zarter und dezenter als jene, die sie für gewöhnlich trug, und obwohl sie ihr standen, mochte er feuriges Rot und strahlendes Orange an ihr lieber.
Heute Abend war sie wieder ganz die elegante Dame des Londoner ton, und nur wenig erinnerte noch an die Frau, die ihn gestern in das Lagerhaus begleitet hatte, um Wedgwoods Geschirr zu begutachten. Was sie wohl von ihrem kleinen Ausflug gehalten hatte? Sie schien an seinen Geschäftsverhandlungen interessiert gewesen zu sein. Fast war es ihm vorgekommen, als hätte es ihr Spaß gemacht. Aber war es nur der Reiz des Neuen? Oder hatte sie zwischen ihnen auch jene Geistesverwandtschaft gespürt, die er empfunden hatte?
Lady Emeline, die nicht ahnen konnte, in welche Richtung seine Gedanken unterdessen geschweift waren, hielt sich noch immer mit seiner missliebigen Garderobe auf und schüttelte resigniert den Kopf. Vielleicht sah sie ja endlich ein, dass es nichts brachte, mit ihm über seine Beinlinge und Mokassins zu diskutieren. Sie enthielt sich jeden weiteren Kommentars und wandte sich stattdessen an Rebecca. „Gut. Vergessen Sie nicht, dass Sie mit niemandem tanzen dürfen, der nicht ausdrücklich von mir abgesegnet wurde. Auch dürfen Sie mit niemandem reden, den ich Ihnen nicht vorgestellt habe. Es gibt immer Männer - ich nenne sie absichtlich nicht Gerrtlemen -, die sich nicht an diese Spielregeln halten, aber darauf dürfen Sie sich unter gar keinen Umständen einlassen."
Sam fragte sich, ob sie Männer wie ihn meinte. Als sie ihm einen vielsagenden Blick zuwarf, war er sich sicher. Grinsend schaute er sie an, wie sie erzürnt ihre Federn spreizte. Lady Eme-line saß neben ihrer Tante, und obwohl sich beide kerzengerade hielten, war Mademoiselle Molyneux fast einen Kopf größer als ihre Nichte.
Rumpelnd fuhr die Kutsche in eine Kurve und rüttelte sie alle durcheinander. Neben ihm hatte Rebecca ihre Arme um sich geschlungen, als fühle sie sich nicht wohl.
Er lehnte sich zu ihr herüber. „Du siehst umwerfend aus. Als ich vorhin die Treppe herunterkam, hätte ich dich fast nicht erkannt."
Rebecca biss sich auf die Lippe und sah ihn verstohlen an. Urplötzlich erinnerte sie ihn an das kleine Mädchen, das sie einmal gewesen war. Genauso hatte sie ihn auch immer angeschaut, wenn er sie im Haus ihres Onkels in Boston besucht hatte. Mit weißer Schürze und Haube hatte sie schüchtern im dunklen Korridor gestanden und darauf gewartet, ihn begrüßen zu dürfen. Er hatte nie gewusst, was er bei diesen Besuchen zu ihr sagen sollte - er war nur ein- oder zweimal im Jahr in der Stadt gewesen, und seine Schwester war ihm stets wie ein unbekanntes Wesen vorgekommen, ein kleines Mädchen eben, das in der kultivierten und wohlanständigen Bostoner Gesellschaft aufwuchs. Und alles, was ihm bekannt und vertraut war - die Wälder, das Jagen und Fallenstellen und schließlich die Armee war ihr völlig fremd gewesen.
Er blinzelte verwirrt, als ihm bewusst wurde, dass Rebecca ihn etwas gefragt hatte.
„Was?"
Ihre braunen Augen blickten sehr verletzlich, als sie sich nun ihrerseits zu ihm herüberlehnte. „Glaubst du, dass überhaupt jemand mit mir tanzen wird?"
„Keine Sorge. Ich werde die Verehrer mit dem Stock von dir abschütteln müssen."
Sie kicherte, und kurz blitzte wieder das kleine Mädchen mit der weißen Schürze in ihren Augen auf.
Mademoiselle Molyneux räusperte sich. „Wir sind fast da, ma petite. Nehmen Sie Haltung an, damit Sie einen manierlichen Eindruck machen." Mit einem scharfen Blick auf Rebeccas Rocksaum fügte sie hinzu: „Sie haben hoffentlich daran gedacht, Schuhe anzuziehen."
Rebecca blinzelte irritiert. „Natürlich, Ma'am."
„Bien. Und da wären wir."
Sam schaute aus dem Kutschenfenster und sah
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