04_Es ist was Faul
Berater.«
Ich beobachtete die beiden Burschen und stellte fest, dass sie
kein Wort miteinander sprachen, obwohl sie kaum einen halben Meter voneinander entfernt waren. Sie tauschten nicht
einmal Blicke, und ich hatte den Eindruck, dass die Verhältnisse
in Kaines Umgebung eher angespannt waren. Ich musste bloß
nahe genug an den Burschen herankommen. Wenn mir das
gelang, würde ich ihn in eins der zahlreichen JurisfiktionGefängnisbücher befördern, und damit wäre die Sache erledigt.
Es sah so aus, als wäre ich gerade rechtzeitig nach Hause gekommen.
Ich studierte das Gratis-Exemplar des New Oppressor, das ich
wie alle anderen auf meinem Platz gefunden hatte. »Warum
behauptet Kaine, die Dänen seien an allem schuld?«
»Weil wir wirtschaftlich völlig ruiniert sind, nach dem verlorenen Krim-Krieg. Die Russen haben als Entschädigung nicht
nur Tunbridge Wells gekriegt, sondern auch jede Menge Reparationen in bar. Der Staat ist völlig bankrott, Kaine will unbedingt an der Macht bleiben, und daher –«
»–sucht er sich einen Sündenbock.«
»Genau.«
»Aber warum ausgerechnet die Dänen?«
»Das zeigt schon, wie verzweifelt er ist, nicht wahr? Die Waliser und die Franzosen haben wir lange genug verantwortlich
für unsere Misere gemacht. Die Russen möchten wir jetzt lieber
nicht mehr zum Feind haben, da bleiben eigentlich nur noch
die Dänen. Er benutzt die Überfälle der Wikinger im 8. Jahrhundert und die dänische Herrschaft im 11. Jahrhundert als
Begründung für seine fremdenfeindlichen Angriffe.«
»Das ist doch lächerlich.«
»Natürlich. Aber die Leute fallen drauf rein. Die Zeitungen
sind voll mit anti-dänischer Propaganda. Sämtliche Geräte von
Bang & Olufsen wurden ›aus Sicherheitsgründen‹ eingezogen,
und Lego wurde verboten, nachdem behauptet wurde, die Leute
könnten daran ersticken. Die Liste verbotener dänischer Autoren wird jeden Tag länger. Kierkegaards Werke wurden aufgrund des ›Gesetzes gegen dänischen Schmutz und Schund‹
schon verboten und werden demnächst öffentlich verbrannt.
Hans Christan Andersen ist der Nächste, hab ich gehört. Danach soll Karen Blixen drankommen.«
»Mein Exemplar von Jenseits von Afrika kriegen sie nur über
meine Leiche.«
»Meins auch. Aber du musst darauf achten, dass Hamlet
niemandem sagt, wo er herkommt. Psst. Ich glaube, jetzt geht es
los.«
In der Tat kamen die Dinge in Gang. Der Aufnahmeleiter
kam auf die Bühne und erklärte uns genau, was wir tun sollten.
Nach einer Reihe von Sound-Checks und Beleuchtungsproben
kam unter dem Beifall des Publikums auch der Moderator der
Sendung, Tudor Webastow von der Owl. Er hatte damit Karriere gemacht, dass seine Fragen gerade neugierig genug waren,
um realistisch zu wirken, aber nicht so neugierig, dass er am
nächsten Morgen mit Überschuhen aus Zement in der Themse
aufgewacht wäre.
Er setzte sich an den Tisch in der Mitte der Bühne und ordnete seine Notizen. Links und rechts von ihm waren zwei leere
Stühle. Heute Abend hatte die Show nur zwei Gäste, normalerweise waren es vier. Yorrick Kaine würde seinem politischen
Widersacher, Mr Redmond van de Poste von der Common-sense-Partei, gegenübersitzen. Mr Webastow räusperte sich und
begann.
»Einen wunderschönen guten Abend! Herzlich willkommen
bei Stell mir keine heiklen Fragen, der führenden Talkshow des
Landes. Heute wie jeden Abend werden illustre Gäste aus der
Politik Ihren Fragen ausweichen und stattdessen längst bekannte Positionen ihrer Parteien vertreten.«
Lauter Beifall ertönte, und Webastow fuhr fort: »Unsere
Show kommt heute aus Swindon in Wessex, das gelegentlich als
dritte Hauptstadt von England oder ›Venedig an der M4‹ bezeichnet wird. Swindon ist ein Zentrum des Wirtschaftslebens,
wo Künstler und Berufstätige aller Schichten ein relativ zuverlässiges Abbild der Gesamtbevölkerung geben. Außerdem
möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass Stell mir keine heiklen Fragen Ihnen vom Autozulieferer Heiße-Luft-Systems®
präsentiert wird, dem führenden Hersteller von Auspuffröhren.«
Er machte eine Pause und ordnete erneut die Papiere, die vor
ihm auf dem Tisch lagen.
»Wir freuen uns, heute Vertreter der beiden Parteien zu Gast
zu haben, die sich auf der politischen Bühne energisch bekämpfen. Als Erstes darf ich Ihnen einen Mann vorstellen, dessen
Karriere noch vor zwei Jahren am Ende zu sein schien, der
inzwischen aber Millionen Anhänger hat, die
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