04 - Mein ist die Rache
Penberth über Bord gesprungen. Ich vermute, der Grund dafür befindet sich hier in diesem Haus. Oder vielleicht in der alten Mühle. Wie wär's mit Diebstahl? Mit Schmuggel? Oder Drogenbesitz? Boscowan wird sich mit Freuden alles anhören, was Ihren Vater entlastet. Ihnen gegenüber wird er kaum so zartfühlend sein. Also, soll ich ihn anrufen? Oder wollen Sie mit mir reden?«
Mark wandte sich ab. Sein Radio, das immer noch auf dem Boden lag, rauschte und knackte.
»Was wollen Sie wissen?« Die Frage klang mürrisch.
»Wer handelt mit dem Kokain?«
»Ich und Mick.«
»Sie haben es in der Mühle versteckt?«
»Das war Micks Idee. Er war letztes Frühjahr immer mit Nancy oben auf dem Boden. Er wußte, daß da nie einer hinkommt.«
»Und die Daze?«
»Kostenloser Transport. Keine Unkosten, die den Gewinn geschmälert hätten.«
»Was für einen Gewinn? Nancy behauptet, Sie hätten kein Geld.«
»Wir haben die Einnahmen vom ersten Geschäft im letzten März gleich in ein neues gesteckt. Ein größeres diesmal.« Ein Grinsen flog über sein Gesicht. Er versuchte gar nicht, es zu verbergen. »Ein Glück, daß der Stoff in Ölhaut eingepackt war. Sonst läge er jetzt in der Bucht vor Perth, und die Fische könnten sich 'nen schönen Tag machen. Leider ...« Er schüttete sich noch eine Ladung Chips auf den Teller, »wird nun Mick nichts vom Gewinn kriegen.«
»Kam Ihnen sehr gelegen, sein Tod, wie?«
Mark war nicht zu erschüttern. »Soll ich bei diesen finsteren Anspielungen vielleicht kreidebleich werden vor Angst? Hey, da hat der arme Irre sich gleich selbst ein Mordmotiv verpaßt!« Er biß von seinem Schinkenbrot ab und kaute gründlich, ehe er es mit einem Schluck Bier hinunterspülte.
»Nichts zu machen. Ich war Freitagabend in St. Ives.«
»Zweifellos in Begleitung von Leuten, die nur zu gern bereit sein werden, das zu bestätigen.«
»Klar. Überhaupt kein Problem.«
»Dealerehre, wie?«
»Man muß sich seine Freunde eben genau anschauen.«
»Peter war auch einmal Ihr Freund.«
Mark senkte den Blick. Das Radio quäkte. St. James schaltete es aus.
»Haben Sie an meinen Bruder verkauft?«
»Wenn er Geld hatte.«
St. James sah, wie Lynleys Gesicht sich spannte, und griff ein. »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?« fragte er.
»Das hab' ich Ihnen doch schon gesagt. Es hat sich inzwischen nichts daran geändert. Freitagnachmittag unten in der Bucht. Er hatte vorher hier im Haus angerufen und gesagt, er wolle mit mir reden. Und dann mußte ich ihn auch noch überall suchen, den Idioten. Ich frag' mich echt, warum ich mir überhaupt die Arbeit gemacht habe.«
»Was wollte er?«
»Was er immer wollte. Koks auf Kredit.«
»Wußte er, was Sie in der Mühle treiben?« fragte Lynley.
Mark lachte geringschätzig. »Glauben Sie vielleicht, ich wär' so blöd gewesen, ihm das auf die Nase zu binden, damit er mich dann jedesmal um Gratisproben angehauen hätte, wenn ich da drin zu tun hatte? Wir sind vielleicht alte Kumpel, aber irgendwo gibt's 'ne Grenze.«
»Wo ist er?« fragte Lynley.
Mark schwieg.
Lynley schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wo ist er? Wo ist mein Bruder?«
Mark schob seinen Arm weg. »Ich weiß es nicht, okay? Ich hab' keine Ahnung, verdammt noch mal. Tot wahrscheinlich mit 'ner Überdosis.«
»Tommy!«
St. James' Ermahnung kam zu spät. Lynley riß den Jungen auf die Füße. Er schleuderte ihn an die Wand und drückte ihm den Arm auf den Kehlkopf. »Sie Dreckskerl!« knirschte er. »Nehmen Sie sich ja in acht. Ich komme wieder.« Er ließ den Jungen abrupt los und eilte aus der Küche.
Mark blieb einen Moment stehen und rieb sich den Hals. Er wischte über seinen Hemdkragen, als wolle er jede Spur von Lynleys Berührung entfernen. Dann bückte er sich und hob sein Radio auf. Er stellte es auf den Tisch und begann an seinen Knöpfen zu spielen. St. James ging.
Er fand Lynley im Auto, keuchend, die Hände um das Steuerrad verkrampft. Nancy und das Kind waren verschwunden.
»Wir sind ihre Opfer.« Lynley blickte die von Licht und Schatten gesprenkelte Auffahrt hinauf, die sich zum großen Haus wand. Ein Luftzug wirbelte Platanenblätter über den Kies. »Wir sind alle ihre Opfer. Ich ebenso wie jeder andere, St. James. Nein, mehr als jeder andere, weil ich ein Amt habe.«
St. James verstand die Konflikte, mit denen sein Freund sich konfrontiert sah. Blutsbande, Pflichterfüllung, Verantwortung der Familie gegenüber, Verrat an sich selbst. Er wartete darauf, daß Lynley,
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