04 - Mein ist die Rache
hätte er daran gedacht, sie gegen eine andere einzutauschen.
»Zu wissen, daß sie mit Roderick ein Verhältnis hatte, während Vater noch am Leben war. Das konnte ich nicht aushalten, Peter. Es war mir gleich, daß sie sich liebten, daß es ohne ihr Zutun geschah, sich einfach entwickelte, Es war mir gleich, daß Roderick die feste Absicht hatte, sie zu heiraten, sobald sie frei war. Es war mir gleich, daß sie Vater immer noch liebte - und ich wußte, daß sie ihn liebte, denn ich sah, wie sie zu ihm war, selbst nachdem sie sich mit Roderick eingelassen hatte. Ich verstand es trotzdem nicht, und ich konnte meine eigene blinde Ignoranz nicht ertragen. Wie konnte sie beide lieben? Wie konnte sie sich dem einen mit solcher Liebe widmen - ihn versorgen, ihm vorlesen, ihn Stunde um Stunde, Tag für Tag pflegen, an seinem Bett sitzen - und mit dem anderen schlafen? Und wie schaffte es Roderick, in Vaters Zimmer zu gehen, mit ihm über seinen Zustand zu sprechen und dabei die ganze Zeit zu wissen, daß er gleich danach mit Mutter schlafen würde? Ich konnte nicht begreifen, wie so etwas möglich war. Ich wollte das Leben unkompliziert, und das war es nicht. Sie sind brutal, dachte ich. Sie haben keinen Funken Anstand. Ich werde ihnen zeigen, was sich gehört. Ich werde sie strafen.«
Lynley nahm sich eine Zigarette und schob die Dose seinem Bruder hinüber.
»Daß ich aus Howenstow fortgegangen bin, daß ich so selten zurückkam, hatte mit dir nichts zu tun, Peter. Ich wollte nur Rache üben für etwas, von dem Vater wahrscheinlich überhaupt keine Ahnung hatte. Ich kann nur sagen, es tut mir leid.«
Peter nahm sich eine Zigarette. Aber er hielt sie zwischen den Fingern, ohne sie anzuzünden.
»Du warst nie für mich da«, sagte er. »Kein Mensch sagte mir, wann du das nächste Mal heimkommen würdest. Ich glaubte, es wäre aus irgendeinem Grund ein Geheimnis. Bis mir schließlich klar wurde, daß niemand es mir sagte, weil niemand es wußte. Also hab' ich nicht mehr gefragt. Und nach einer Weile wurde es mir egal.«
»Du wußtest nichts von der Beziehung zwischen Mutter und Trenarrow?«
»Lange nicht, nein.«
»Und wie hast du es erfahren?«
Peter zündete seine Zigarette an. »Am Elternsprechtag in der Schule. Da kamen sie beide. Ein paar Klassenkameraden haben es mir gesagt. ›He, der Trenarrow hat was mit deiner Mutter, Pete. Hast du das noch nicht gemerkt?‹« Er zuckte die Achseln. »Ich tat ganz cool. Ich tat so, als wüßte ich Bescheid. Ich dachte, sie würden heiraten. Aber das taten sie nicht.«
»Dafür habe ich gesorgt. Ich wollte, daß sie leiden.«
»Du hattest sie doch nicht unter deiner Kontrolle.«
»O doch. Bis heute. Ich wußte, wem Mutters Loyalität gehörte. Und ich nutzte es aus, um sie leiden zu lassen.«
Peter verlangte keine weitere Erklärung. Er legte seine Zigarette in den Aschenbecher und betrachtete den dünnen Rauchfaden, der von ihr aufstieg. Lynley wählte seine nächsten Worte mit Sorgfalt, wagte sich vorsichtig tastend auf ein Gebiet, das ihm hätte altvertraut sein müssen und ihm doch ganz fremd war.
»Vielleicht können wir das hier zusammen durchstehen, Peter. Einen Weg zurück gibt es natürlich nicht. Aber wir können versuchen, gemeinsam vorwärtszugehen.«
»Als Wiedergutmachung von dir?« Peter schüttelte den Kopf. »Du hast an mir nichts gutzumachen, Tommy. Natürlich, ich weiß, du bist anderer Ansicht. Aber ich habe selbst meinen Weg gewählt. Du bist nicht für mich verantwortlich.«
»Mit Verantwortung hat das nichts zu tun, Peter. Ich möchte dir helfen. Du bist mein Bruder. Ich liebe dich.«
Diese einfache Erklärung schien Peter wie ein Schlag zu treffen. Er fuhr zurück. Seine Lippen zitterten. »Es tut mir leid«, sagte er schließlich. Und dann nur: »Tommy.«
Lynley sprach nichts mehr, bis sein Bruder die Hand senkte. Nur MacPhersons Mitgefühl hatte er diese Momente mit Peter unter vier Augen im Vernehmungszimmer zu verdanken. Sergeant Havers hatte lauthals protestiert. Sie hatte Vorschriften und Regeln zitiert, Urteile und Verfügungen, bis MacPherson sie mit einem schlichten »Ich kenne die Gesetze, Mädchen, das dürfen Sie mir schon glauben« zum Schweigen gebracht und ans Telefon verbannt hatte, damit sie dort auf den Befund der Analyse des Pulvers warte, das man in Peters Wohnung in Whitechapel gefunden hatte. Danach war MacPherson mit den Worten »Zwanzig Minuten, Tommy« ebenfalls gegangen und hatte Lynley vor der Tür des
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