04 - Mein ist die Rache
interessiert. Aber vielleicht denkt er jetzt daran, Verwalter von Howenstow zu werden, wenn sein Vater mal in den Ruhestand geht.«
»Ist das eine Möglichkeit?«
»Möglich ist es sicher, ja, aber nur wenn Mark sich ein bißchen dahinterklemmt. Er braucht weit mehr Wissen und Erfahrung, als er mit der Arbeit, die er jetzt macht, sammeln kann.«
»Rechnet Penellin nicht damit, daß sein Sohn ihn einmal ablöst?«
»Ich glaube nicht. John hat selbst studiert. Er rechnet gewiß nicht damit, daß ich seinen Posten jemandem gebe, dessen ganze Erfahrung in Howenstow sich aufs Stallausmisten beschränkt, wenn er sich einmal zurückzieht, was noch in weiter Ferne liegt.«
»Das ist tatsächlich alles, was Mark hier tut?«
»Na ja, er hat auch eine Zeitlang auf verschiedenen Pachthöfen gearbeitet. Aber es gehört schon ein bißchen mehr dazu, so ein Gut zu verwalten.«
»Wird er gut bezahlt?«
Lynley drehte den Stiel seines Glases zwischen den Fingern.
»Nein, nicht besonders. Aber das hat John so entschieden. So wie ich ihn verstanden habe, ist Marks Arbeit nicht so gut, daß er mehr Bezahlung verdient. Ich weiß, daß die Frage von Marks Lohn seit seiner Rückkehr aus Exeter ewig Anlaß zu Streitereien zwischen den beiden ist.«
»Wenn Mark so kurzgehalten wird, könnte dann das Geld in Gull Cottage nicht eine Versuchung für ihn gewesen sein? Meinst du, er war mit den Gewohnheiten seines Schwagers hinreichend vertraut, um zu wissen, daß der heute abend die Lohntüten für das Personal seiner Zeitung vorbereiten würde? Mir scheint, er lebt um einiges über seine Verhältnisse, wenn sein Lohn tatsächlich so niedrig ist, wie du sagst.«
»Über seine Verhältnisse? Wieso?«
»Na, das Kofferradio, das er bei sich hatte, war bestimmt nicht billig. Die Lederjacke wirkte auch ziemlich neu. Seine Stiefel konnte ich nicht richtig sehen, aber sie sahen mir nach Schlangenleder aus.«
Lynley ging durch den Alkoven zu einem der Fenster und öffnete es. Die Luft des frühen Morgens war endlich kühl und feucht. Durch die Stille der Nacht klang von ferne das Rauschen des Meeres.
»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Mark seinen Schwager töten würde, um sich Geld zu beschaffen, St. James. Ich muß allerdings zugeben, daß ich mir durchaus vorstellen könnte, daß er das Geld an sich genommen hat, wenn er zufällig im Haus gewesen sein sollte und Mick dort tot vorfand. Mord traue ich Mark nicht zu. Aber ein Opportunist ist er gewiß.«
St. James blickte einen Moment auf seine Notizen und überflog die Zusammenfassung ihres Gesprächs mit Nancy Cambrey im Verwalterhaus.
»Hm, du meinst, er könnte aus einem anderen Grund im Haus seiner Schwester gewesen sein und das Geld einfach an sich genommen haben, als er Mick dort tot vorfand?«
»Vielleicht. Ich glaube nicht, daß Mark einen Raub geplant hätte. Er hätte gewußt, was er seiner Schwester damit antun würde. Die beiden waren zwar heute abend wie Hund und Katze, aber sie standen einander immer sehr nahe.«
»Aber er wußte doch sicher von den Lohntüten, Tommy.«
»Davon wußten wahrscheinlich viele. Nicht nur die Mitarbeiter der Zeitung, auch die Leute im Dorf. Nanrunnel ist nicht groß. Ich glaube nicht, daß es sich seit meiner Kindheit wesentlich verändert hat. Und damals, das kannst du mir glauben, gab es kaum Geheimnisse, die nicht allgemein bekannt waren.«
»Wenn das so ist, hätten dann andere auch von den Notizen und Aufzeichnungen gewußt, die Mick bei sich im Haus hatte?«
»Die Mitarbeiter der Zeitung ganz sicher. Und Micks Vater natürlich auch. Warum nicht auch andere?«
»Kennst du die Leute von der Zeitung?«
Lynley kehrte zu seinem Sessel zurück. »Außer Mick kenne ich nur Julianna Vendale. Sie arbeitet schon lange beim Spokesman. Als Redakteurin.«
Ein Ton in seiner Stimme veranlaßte St. James aufzusehen.
»Julianna Vendale?«
»Richtig. Eine nette Frau. Geschieden. Zwei Kinder. Ungefähr siebenunddreißig.«
»Wäre sie für Mick attraktiv gewesen?«
»Wahrscheinlich. Aber ich bezweifle, daß Julianna sich für Mick interessierte. Sie hat für Männer nicht mehr viel übrig, seit ihr Mann sie vor ungefähr zehn Jahren wegen einer anderen verlassen hat. Seitdem hatte keiner mehr viel Glück bei ihr.« Er sah St. James mit einem schiefen Lächeln an. »Ich hab' das am eigenen Leib erfahren. In den Ferien, ich war damals sechsundzwanzig und hielt mich für besonders unwiderstehlich. Julianna war anderer Meinung.«
»Aha.
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