04 - Mein ist die Rache
einmal ab. Sie prüfte das Aussehen ihrer Füße in dem Spiegel an der Innenseite der Schranktür.
»Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Aber sehen Sie sich die Grünen an. Und in meinem Rock ist doch auch Grün, oder nicht? Wenn nicht, dann bilden sie auf jeden Fall einen hübschen Kontrast. Ich habe außerdem eine wunderschöne Handtasche, die genau zu den grünen Schuhen paßt, und ich wollte beides schon immer mal zusammen tragen. Man möchte schließlich nicht gern zugeben, daß ein Impulsivkauf ein Reinfall war. Deborah, was meinst du?«
»Die Wildledernen«, sagte Deborah. Sie schob ihren Koffer zur Tür und ging zum Toilettentisch.
Helen seufzte. »Na gut. Überstimmt.« Sie sah Caroline nach, als diese aus dem Zimmer ging. »Vielleicht sollte ich versuchen, sie Tommy abspenstig zu machen. Ein Blick auf die Schuhe, und sie war entschieden. Deborah, stell dir vor, sie würde mir jeden Tag Stunden sparen. Kein endloses Herumstehen mehr vor dem Schrank jeden Morgen. Ich wäre richtig befreit.«
Deborah gab nur ein unbestimmtes »Hm« von sich und starrte verblüfft auf den leeren Fleck neben dem Toilettentisch. Sie ging zum Schrank, sah hinein, zunächst ohne Bestürzung oder gar Panik, nur verwundert.
Helen inspizierte Deborahs Frühstückstablett. »Ißt du deine Grapefruit?«
»Nein. Ich bin überhaupt nicht hungrig.«
Deborah ging ins Badezimmer, kam wieder heraus. Kniete sich auf den Boden, um unter das Bett zu schauen, und versuchte sich zu erinnern, wo sie den Koffer abgestellt hatte. Er war auf jeden Fall die ganze Zeit im Zimmer gewesen. Sie hatte ihn doch gestern abend noch gesehen, oder nicht? Sie dachte über die Frage nach und mußte sich eingestehen, daß sie sich nicht erinnern konnte. Aber es war lächerlich zu glauben, sie könnte den Koffer irgendwo stehengelassen haben; noch lächerlicher zu glauben, er könnte verschwunden sein. Denn wenn er verschwunden war und nicht sie selbst ihn gedankenlos an irgendeinem dummen Ort abgestellt hatte ...
»Sag mal, was tust du da eigentlich?« fragte Helen, während sie sich vergnügt über Deborahs Grapefruit hermachte.
Ihr wurde beklommen, als sie sah, daß der Platz unter dem Bett leer war. Sie stand auf. Ihr Gesicht war heiß.
Helens Lächeln erlosch. »Was ist denn? Ist etwas passiert?«
In einem letzten, völlig unsinnigen Versuch ging Deborah noch einmal zum Schrank und warf alles heraus.
»Meine Fotoapparate«, sagte sie. »Helen, meine Apparate. Sie sind weg.«
»Die Fotoapparate?« wiederholte Helen verständnislos.
»Weg? Wie meinst du das?«
»Weg eben. Genau wie ich es gesagt habe. Sie sind weg. Sie waren in meinem Fotokoffer. Du kennst ihn doch. Ich habe ihn hierher mitgenommen. Und jetzt ist er weg.«
»Aber das kann nicht sein, Deborah. Irgend jemand hat sie weggestellt. Beim Aufräumen vielleicht -«
»Sie sind weg«, erklärte Deborah. »Sie waren in einem Metallkoffer. Kamera, Objektive, Filme. Alles, Helen.«
Helen stellte das Schälchen mit der Grapefruit aufs Tablett zurück. Sie sah sich im Zimmer um. »Bist du ganz sicher?«
»Aber ja! Sei doch nicht so ...« Deborah unterbrach sich und sagte mit erzwungener Ruhe: »Sie waren in einem Metallkoffer, der neben dem Toilettentisch stand. Schau nach. Er ist nicht mehr da.«
»Warte, ich frag mal Caroline«, sagte Helen. »Oder Hodge. Vielleicht hat einer den Koffer schon zum Auto hinuntergebracht. Oder vielleicht war Tommy hier und hat ihn geholt. Bestimmt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand deine Kameras ...« Sie brachte das Wort stehlen nicht über die Lippen.
»Ich war die ganze Zeit im Zimmer. Nur mal im Bad. Wenn Tommy den Koffer geholt hat, warum hat er es mir dann nicht gesagt?«
»Laß mich erst mal fragen«, sagte Helen wieder und eilte aus dem Zimmer.
Deborah setzte sich auf den Hocker vor dem Toilettentisch und starrte zu Boden. Das Rankenmuster des Teppichs verschwamm vor ihren Augen, während sie über ihren Verlust nachdachte. Drei Fotoapparate, sechs Objektive, Dutzende von Filtern, alle von dem Erlös ihrer ersten erfolgreichen Ausstellung in Amerika gekauft, eine Ausrüstung, die auf dem letzten Stand der Technik war, für sie ein Symbol dessen, was sie in diesen drei Jahren des Auf-sich-gestellt-Seins aus sich gemacht hatte. Eine kompetente Fotografin, eigenständig, ohne Bindungen, ohne Pflichten, ohne Verpflichtungen. Eine Frau, der die Zukunft gehörte.
Jede Entscheidung, die sie in den Jahren in Amerika getroffen hatte, war
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