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eigentlich bin ich gerade erst aufgestanden. Dies ist die einzige Zeit, zu der wir beide gleichzeitig wach sind."
„Wie interessant", sagte Jessica süß, „dass du das schon herausgefunden hast.
Wie lange bist du jetzt hier? Einen Tag?"
Er sah durcheinander aus (und niedlich!), als er so in meiner Schlafzimmertür stand und von einem Fuß auf den anderen trat. „Na ja, nicht die einzige Zeit", erklärte er. „Weil es ja Winterzeit ist. Ich werde also noch wach sein, wenn die Sonne untergeht, und . ."
„Jon. Dieses Mädchen muss sich bettfein machen und ihr Verlobter wird jede Minute eintreffen. Worum geht's?"
Nicht zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass Jessica Jon nicht besonders mochte.
„Ich, äh, ich habe mir gedacht. . weil ich doch schon mal hier bin . . Ich hatte die Idee während des Unterrichts. Ich nehme an einem Kursus für Kreatives Schreiben teil .. "
„Wie nützlich für die Arbeit auf der Farm!"
„Jessica!", keuchte ich. Was hatte sie gegen Farmer? „Red weiter, Jon. Wir alle hören dir zu." Zur Sicherheit starrte ich sie drohend an.
„Na ja, also . . letztes Jahr war ich an der Uni und dann bin ich wieder nach Hause gegangen ..."
„Was wir bereits wissen .. " Jessica trieb ihn an, indem sie ihre Hand in einer kurbelnden Bewegung kreisen ließ.
„Also .. heute habe ich mich wieder eingeschrieben, und eins meiner neuen Seminare . . also letztes Jahr hatte ich eins
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über Allgemeine Schreibeinführung - und dieses Jahr möchte ich mich auf den Bio-Kurs konzentrieren."
„Logie oder Gräfte?" Ich fragte mich, worauf er eigentlich hinauswollte.
„Oh. Biografie."
„Da geht es doch darum, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, oder?", fragte ich erfreut. Jawohl! Endlich etwas, das ihn beschäftigen und mir vom Hals halten würde! Und außerhalb von Sinclairs Radar, noch besser. „Eine tolle Idee, Jon. Du hast unglaublich viel erlebt und bist erst . . wie alt?
Fünfzehn?"
„Zwanzig", sagte er pikiert. „Und eine Biografie schreibt man über jemand anderen."
„Oh-oh", murmelte Jessica.
„Oh. Dann . . Oh! Ah .. " Ich blinzelte und versuchte meine Kinnlade oben zu behalten. „Nun . . das ist. . wirklich schmeichelhaft."
„Ich glaube, das ist ein tolles Projekt."
„Jon, du kannst nicht über sie schreiben und es dann allen deinen kleinen Schulfreunden zeigen. Alles, was wir wollen, ist, nicht aufzufallen."
„Oh, das weiß ich", sagte er so ernsthaft, dass es schon ärgerlich war.
„Meinem Lehrer habe ich schon gesagt..."
„Was hast du?", schrien wir einstimmig.
„.. dass es sich um Literatur handelt. Eine falsche Biografie über eine erfundene Persönlichkeit. Er fand die Idee toll."
Dann hat er den Sinn des Seminars nicht verstanden, dachte ich, aber ich hielt den Mund.
„Kommt schon, Leute! Wer würde das denn schon glauben? Eine Biografie, die auspackt über einen Vampir, der hier in der Stadt lebt?! Natürlich nimmt er an, dass sie nicht wahr ist. Er kann es gar nicht erwarten, sie zu lesen", sagte er stolz. „In den
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zwanzig Jahren, die er jetzt unterrichtet, hat noch niemand so eine Idee gehabt, sagt er." „Du auch nicht!"
Ihr Einwurf ließ ihn kalt. Er sah mich an. „Also, was ist? Machst du es?" „Was mache ich?"
„Mir deine Lebensgeschichte erzählen." Ich öffnete den Mund.
„Nein", sagte Jessica. „Betsy, damit tu ich dir den größten Gefallen deines Lebens. Nein. Ich bewahre dich vor sehr viel Ärger. Von bestimmten Leuten, du verstehst? Nein."
Wütend starrte Jon sie an. „Das hast du nicht zu entscheiden."
„Solltest du nicht besser an irgendeinem Mähdrescher Öl wechseln?"
„Solltest du nicht irgendeine Benefizveranstaltung organisieren?"
„Vertragt euch, Leute", sagte ich automatisch, während ich nachdachte.
Ich wusste, was Jess sagen wollte. Sie wollte andeuten, dass Sinclair komplett ausflippen würde. So, wie er es schon getan hatte, als ich ihm gesagt hatte, dass Jon bei uns wohnen würde. Schlimmer konnte es ja nicht kommen.
Ach, Sinclair würde schon nichts dagegen haben. Er hatte andere Sorgen als Jons Hausaufgaben. Ehrlich gesagt würde es mich wundem, wenn er Jons Anwesenheit überhaupt bemerken würde, solange Vampire wie Marjorie in der Stadt herumliefen.
Aber Jon sah so niedlich hoffnungsvoll aus, so wonnig in seinen zerknitterten Jeans und dem gelben T-Shirt, auf dem „Luke, ich bin nicht dein Vater" zu lesen war. Und nackte Füße!
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Mein Gott, man konnte praktisch das Stroh in seinen
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