0405 - Kampf um Merlins Burg
einschlief, und rissen ihn wieder in den Wachzustand zurück.
Nein, er wollte es nicht.
Er wollte nicht schon wieder durch die Hölle des Todes gehen, ihn nicht schon wieder betrügen müssen. So oft hatte er es schon tun müssen, und jedesmal war es aufs neue furchtbar.
Und… würde er die anderen überhaupt mitnehmen können? Er bezweifelte es. Er hatte es noch nie ausprobieren müssen. Wie sollte er da wissen, ob er seine Fähigkeit, die manchmal ein Fluch zu sein schien, auf die anderen übertragen konnte?
Zamorra, Nicole, Gryf, Teri, Merlin… fünf Personen! Mit ihm, Tendyke, sechs! Konnte es da nicht geschehen, daß die Kraft über die er in jenem speziellen Moment verfügte, durch sechs geteilt wurde? Daß sie alle schließlich dem Tode näher als dem Leben sein würden, für alle Zeiten gezeichnet?
Aber sie mußten doch wissen, was sie von ihm verlangten! Er war erwacht mit dem klaren Auftrag, Merlin und seine Begleiter zurückzuholen!
Wenn es einen anderen Weg gab als den über Avalon, würde Zamorra ihn doch finden können. Er hatte ihn bisher immer gefunden. Wenn Tendyke eigens den Auftrag bekam, für die Rückholung zu sorgen, dann hieß das nur, daß es keinen anderen Weg gab.
Und er begann zu ahnen, daß der Schuß, mit dem ihn jener Fremde niedergestreckt hatte in Louisianas Sumpfwäldern, durchaus nicht zufällig getroffen hatte. Daß hinter all dem, hinter seiner Unruhe, die ihn an den Ort des Geschehens geführt hatte, ein tieferer Sinn steckte.
Es war vorherbestimmt gewesen. Vielleicht hatte der Wächter der Schicksalswaage selbst eingegriffen, weil nicht sein durfte, was nicht sein konnte…
Eine Bestimmung für Merlin in der Vergangenheit… aber der Weg war vielleicht falsch gewesen, und nur er, Tendyke, konnte diesen Fehler wieder ausbügeln. So mußte es sein.
»Aber ich will nicht…«
Unruhig warf er sich auf seinem Lager hin und her. Er fürchtete den Tod wie jeder andere Mensch, denn er wußte nie im voraus, ob es ihm gelingen würde, Avalon noch rechtzeitig zu erreichen. Den Tod selbst herbeizuführen, und gleichzeitig auch noch den Tod anderer auszulösen, um sie mitzunehmen, war für ihn eine unerträgliche Vorstellung.
Und noch unerträglicher war es ihm, daß er sie nicht einweihen konnte und durfte. Wenn er sich dafür entschied, zu tun, was sein Auftrag war, würden sie sich dagegen wehren. Sie hingen doch auch am Leben; ein Überlebensinstinkt würde dafür sorgen, daß sie sich zur Wehr setzten und ihn an seinem Tun hinderten. Nein, sie durften nichts wissen. So oder so nicht.
Aber er war sich gar nicht sicher, ob er den Auftrag ausführen würde. Was würde geschehen, wenn er sich weigerte?
Sie würden auf dem Silbermond bleiben… und irgendwann mit ihm untergehen unter der Gewalt der MÄCHTIGEN.
Oder… würden sie den Ablauf der Dinge ändern, in die Zeit eingreifen, ein Paradoxon hervorrufen?
Wenn sie in der Vergangenheit bleiben, würde es für sie selbst keine Auswirkungen zeitigen, hoffte er.
Aber sein Verstand sagte ihm, daß durch eine Veränderung der Gegenwart auch ihre eigene Existenz hier vernichtet werden würde. So oder so -sie waren dem Tod geweiht.
»Der Silbermond ist eine Todesfälle«, murmelte er. »Für uns alle… warum mußte ausgerechnet ich hierher geraten? Hätte nicht die Zeitlose…?«
Aber die Zeitlose war in der Gegenwart tot. Sie konnte nicht mehr hierher zurück. Die Schmetterlingsflügelfrau, mit der sich Merlin auf einer der Wunderwelten in Liebe vereint hatte, war nicht mehr als ein Schatten der Zeit, der Vergangenheit. Es war alles so unwirklich.
Der Strom der Zeit war zu kompliziert, um restlos begriffen werden zu können… was war Wirklichkeit, was nur Wunschvorstellung?
Als der Morgen bereits zu grauen begann, fiel Tendyke endlich in einen Erschöpfungsschlaf, der traumlos blieb.
Aber die dumpfe Angst in ihm war geblieben.
***
Nur durch eine schmale Wand getrennt, schliefen Gryf und Teri, die beiden Druiden. Sie hatten Tendyke zu sich in das Organhaus aufgenommen, das ihnen zugeteilt worden war und in dem auch Merlin seine Unterkunft hatte. In Zamorras und Nicoles Organhaus hatte der Jäger Aufnahme gefunden. Es war nicht schwierig, die Innenarchitektur dieser auf Pflanzenbasis lebenden Häuser so umzugestalten, daß ein weiteres Zimmer abgeteilt werden konnte. So, wie sich Türen und Fenster dort bildeten, wo der Bewohner des Hauses es wünschte, konnten auch neue Wände gezogen werden oder andere verschwinden.
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