0423 - Rally des Schreckens
nicht.
Was würde der für mich unsichtbare Götze tun, wenn ich zugab, daß er ein Feind war? Es blieb nur eine Antwort. Er würde mich vernichten. Sollte ich mich verstellen?
Das konnte ich versuchen, glaubte aber nicht, daß der Götze es mir abnahm.
Also schwieg ich.
»Als Mensch hat man Furcht!« vernahm ich wieder seine Stimme. Sie besaß einen Klang oder ein Timbre und war trotzdem klanglos, denn aus den Worten sprachen keine Emotionen. Außerdem drang sie von allen Seiten auf mich zu. Der Götze schien in jedem Wolkenfetzen zu hocken und mich zu beobachten.
»Das gebe ich zu.«
»Menschen, die auf meiner Seite stehen und mich um die Erfüllung ihrer Wünsche bitten, brauchen keine Furcht zu haben. Bei dir ist es anders. So stehst du nicht auf meiner Seite, sondern bist mein Feind. Und Feinde muß ich vernichten.«
»Habe ich das zuzugeben?«
»Nein, aber ich als Götze spüre es. Ich bin mit Gefühlen ausgestattet, über die schon die Kelten Bescheid wußten. Ich kannte sie, ich konnte ihre Gedanken lesen, auch deine. Und trotzdem haben sie mich nicht gewollt. Es war zu der Zeit, als das Kreuz ins Land kam. Unter dem Kreuz wollten die Männer und Frauen ihre Götter vertreiben und ahnten nicht, was sie sich damit antaten. Die Eindringlinge mit dem Kreuz lehnten den Götzenglauben ab, ohne zu wissen, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sie nicht begreifen konnten. Du aber trägst das Kreuz. Ich habe es sofort gespürt. Man hat dich geholt, um mich zu vernichten, und das kann ich dir nicht verzeihen, Mensch. Mir ist es zum Glück gelungen, dich in meinen Bann zu schlagen. Du bist derjenige, der in den Wagen stieg, ohne daß er wußte, was er damit anrichtete. Damit hast du dich in meine Hand begeben. Du wolltest mich töten, jetzt werde ich dich vernichten.«
Ich hockte auf dem schmalen Sitz wie eine Plastik. Jedes seiner Worte hatte ich genau verstanden.
Sie echoten noch in meinem Hirn nach. Ich starrte nach vorn, der kalte Wind trocknete meine Tränen, die Wangen spürte ich kaum mehr. Sie schienen schon vereist zu sein.
»Das Meer ist endlich, aber für dich kann es unendlich werden«, sagte die Stimme. »Der Wagen wird dich abwerfen, er schleuderte dich hinein, er ist magisch aufgeladen, er gehorchte anderen Kräften, denen der Magie. Gegen ihn kommst du nicht an.«
Es waren schicksalshafte Worte, die er mir gesagt hatte, und ich dachte verzweifelt über einen Ausweg nach.
Es gab keinen!
Der Wagen hatte mich aufgenommen, in den Himmel geschleudert, und er würde mich auch abwerfen können.
Ich bewegte meine Finger. Sie waren von der Kälte steif geworden, so daß ich Mühe hatte, sie überhaupt vom kleinen Lenkradring wegzubekommen. Dann sprach mich der Götze aus dem Unsichtbaren wieder an.
»Hast du nun bemerkt, daß ich stärker bin als du? Es gibt keinen Weg mehr für dich.«
»Das weiß ich.«
»Und doch«, erklärte Wahina nach einer kurzen Pause. »Will ich dir eine Chance geben. Du als mein Feind hast sie zwar nicht verdient, aber ich denke diesmal anders.«
»Was ist das für eine Chance?«
»Du kannst überleben, wenn du dich in meine Dienste stellst. Willst du das?«
»Was muß ich tun?«
Ich hörte die Stimme lachen. »Es ist ganz einfach, mein Freund. Du trägst dein Kreuz bei dir, und du weißt, daß ich die Männer, die unter dem Zeichen des Kreuzes in mein Reich eingedrungen sind, hasse. Nimm es also und wirf es weg. Ja, schleuderte es ins Meer hinein.«
***
Im ersten Moment hatte ich daran gedacht, es tatsächlich zu tun. Wenn ich eine Überlebenschance bekam, dann mußte ich eben auf das wertvolle Kreuz verzichten.
Mußte ich das wirklich?
Ich dachte näher darüber nach, ordnete meine Gedanken und kam zu dem Entschluß, daß ich auf keinen Fall diesen Forderungen nachkommen würde. Nein, dann lieber in die Tiefe fallen und auf dem Meeresgrund ein Grab finden. Es gibt Dinge, die man einfach nicht machen kann. Dazu gehörte die Forderung des Götzen.
Mein Blick war geradeaus gerichtet. Ich schaute in die Ferne des Himmels und in den Wirrwarr der vom Wind bewegten Wolken hinein. Den Blick nach unten zu richten, traute ich mich nicht. Das Schicksal, das man mir ausgemalt hatte, war schlimm genug, ich wollte das Meer nicht extra noch sehen.
Mein Schweigen mußte den unsichtbaren Götzen durcheinander gebracht haben, denn er fragte:
»Nun, hast du dich entschieden?«
»Ja.«
»Dann sage es mir!«
»Ich kann mein Kreuz nicht abgeben!«
Wahina schien
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