0471 - Im Wartesaal des Todes
haben aber ein gemeinsames Bad. Die Wände sind leicht angeschrägt.«
»Das spielt keine Rolle«, sagte sie. »Ich liebe schräge Wände. Sie steigern die Gemütlichkeit.«
Der Portier war geradezu begeistert von der jungen Dame. Ein Lob auf sein Hotel hatte er in den letzten Jahren nur noch von betrunkenen Männern gehört, dessen Urteil restlos getrübt war. Er reichte der Dame lächelnd den Schlüssel von Zimmer 576.
»Auf welchen Namen darf ich das andere Zimmer eintragen, Madam?«
»Auf Miß Nora Cummings. Sie wird in etwa einer Stunde hier eintreffen«, sagte die junge Dame und betrat mit ihrem leichten Gepäck den Aufzug.
Erfreut stellte sie fest, daß die Fußböden des Hotels mit dicken Teppichen ausgeschlagen waren, die jedes Geräusch im Keim erstickten.
Diese Tatsache war äußerst wichtig für ihren Plan.
Der Aufzug brachte sie mit leichtem Surren in den fünften Stock. Lächelnd betrat sie Zimmer 576. Der Raum war für ihren Plan geradezu ideal. Das Badezimmer, das zwischen diesem Raum und 575 lag, hatte auf beiden Seiten Türen, die jeweils abgeschlossen werden konnten.
Durch das Bad betrat sie den Raum 575. Hier öffnete sie das kleine Köfferchen, das sie mit sich führte. Lange blickte sie auf den Stapel von Banknoten, die in dem Köfferchen lagen. Es waren genau einhunderttausend Dollar. Oder anders gesagt: genau zehn Prozent der Summe, die in den letzten Wochen bei den verschiedenen Banken New Yorks gestohlen worden war.
Mit einem Taschentuch wischte sie sorgfältig alle diejenigen Stellen des Koffers ab, die sie vorher berührt hatte, und stellte ihn in einen Schrank. Aus ihrer Handtasche holte sie einen großkalibrigen Revolver und lud das Magazin mit zwei Kugeln. Dann wischte sie die Waffe ebenfalls sorgfältig mit dem Taschentuch ab und schob sie geschickt in die Polsterritzen eines Sessels.
Sie war eine Frau, die mit allem rechnete. Sogar mit dem Mißerfolg. Der Haß hatte sie bei all ihren Handlungen bestimmt, und sie wußte das selbst. Vorsichtig betastete sie den kleinen Ohrclip. Auch er war in Ordnung.
Dann schloß sie das Zimmer von innen ab, das sie für sich gemietet hatte, und zog den Schlüssel ab. Danach versperrte sie die Badezimmertür. Sie befand sich jetzt in dem Raum, den sie auf den Namen Nora Cummings gebucht hatte und von dem sie keinen Schlüssel besaß.
Diese Tür öffnete sie von innen und schob ein kleines Stückchen Papier ins Schloß. Auf diese Art und Weise konnte die Tür nicht zufallen.
Dann fuhr sie mit dem Aufzug zu dem Portier hinunter und erklärte dem alten Mann, daß sie erst in zwei Stunden wieder zurück sei. Gleichzeitig übergab sie ihm den Schlüssel ihres Zimmers.
Unauffällig schlenderte sie dann zu den Telefonzellen, die im Zwischengeschoß des Hotels lagen und eine direkte Verbindung zum Hinterausgang des Gebäudes hatten.
Als sie vor dem Apparat stand, atmete sie tief durch. Jetzt kam alles darauf an, daß sie einen festgesetzten Zeitplan einhielt. Der geringste Fehler konnte ihr den Tod bringen. Sie wußte es, und zum erstenmal bei ihren ganzen Verbrechen spürte sie so etwas wie Angst. Ihre Hände zitterten leicht, als sie eine bestimmte Nummer wählte.
Eine weibliche Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung. »Ich habe schon gewartet. Warum rufst du erst so spät an? Ist etwas passiert?«
»Nichts ist passiert. Alles ist in bester Ordnung.«
»Ich brauche Geld. Ich kann mich hier in New York nicht länger halten.«
»Hol es dir. Ich habe es mitgebracht.«
»Wieviel?«
»Die abgemachte Summe. Zehn Prozent.«
»Gut, wo bist du?«
»Ich habe ein Zimmer für dich im Queensborough gebucht. Du mußt sofort kommen. Hörst du, sofort!«
»Ich bin schon da«, kam es aus dem Telefonhörer zurück, und sie legte auf. Eine Weile stand sie unschlüssig da. Sie überlegte, wen sie jetzt anrufen sollte. Die Nummer des FBI kannte sie auswendig. Dann entschied sie sich aber anders.
Sie wählte die Nummer des Headquarters der Stadtpolizei. Es erschien ihr ungefährlicher. Als sie die Vermittlung an der Strippe hatte, sagte sie gepreßt: »Verbinden Sie mich bitte mit Lieutenant Easton!«
***
Für einen Augenblick sah ich die gespreizten Finger von Mickey Derridge in Nahaufnahme vor meinen Augen. Verzweifelt riß ich das Knie hoch und warf meinen Kopf zur Seite.
Derridges Finger schrammten an meiner Schläfe vorbei und rissen ein Stück Haut mit. Gleichzeitig wurde der Verbrecher vornübergeworfen. Ich schnellte mich zur Seite und
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