051 - Die gelbe Schlange
Fabrik begangen wurde. Es blieb glücklicherweise bei dem einen Fall, da die Gesellschaft energische Maßnahmen ergriff und den chinesischen Arbeitern Wohnungen im Fabrikgebäude zuwies. Platz dafür war genug vorhanden, denn viele der Häuser standen leer. Es war eine der vielen Fabrikanlagen, die während des Krieges aus dem Boden gewachsen waren und mit dem Waffenstillstand entbehrlich wurden.
Die Fabrik lag am Ufer des träge dahinfließenden Surrey-Kanals. Sie hatte eine eigene kleine Dockanlage und einen Uferkai, wo eine große. Zahl von Flußkähnen jede Woche entladen und wieder beladen wurde. Nur diese Flußkähne waren mit weißen Arbeitern bemannt; auf den Schiffen, die die Waren der Gesellschaft an die afrikanische Küste brachten, bestand fast die gesamte Mannschaft nur aus Chinesen.
Die sogenannte ›Gelbe Flotte‹ bestand aus vier Schiffen, die man günstig zu einem Zeitpunkt erworben hatte, als die Schifffahrt ganz darniederlag. Offensichtlich handelte die Firma mit großem Gewinn mit Reis, Seide und den tausenderlei Produkten des Fernen Ostens. Diese Waren wurden gewöhnlich am Pool von London entladen und kamen auf dem gewöhnlichen Weg auf den Markt. Die Neubeladung der Schiffe geschah durch die Flußkähne, die vom Surrey-Kanal kamen, und es handelte sich um Produkte, die in China schnell umzusetzen waren.
Es regnete in Strömen, als Clifford Lynnes Taxi aus der Old Kent Road abbog und eilig den Weg nach Peckham nahm. Kurz vor der einsamen Kanalbrücke hielt der Wagen, und Lynne stieg aus. Mit leiser Stimme gab er dem Chauffeur einige kurze Anweisungen, dann ging er zum Kanalufer hinunter. Außer dem Sirenengeheul eines fernen Dampfers, der auf dem Weg zum Meer war, wurde die Stille durch kein Geräusch unterbrochen. Rasch ging Clifford die enge Uferstraße an der Wasserseite entlang. Einmal kam er an einem Kutter vorbei, der am Ufer festgemacht hatte, und er konnte die leisen Stimmen des Bootsmannes und seiner Frau hören, die miteinander sprachen.
Nach zehn Minuten verlangsamte er seine Schritte. Er hatte jetzt unmittelbar zu seiner Linken die dunklen Gebäude der chinesischen Fabrik vor sich. Lynne ging am Haupteingang vorbei, das kleine Fußgängertor war offen, und davor hockte ein gigantischer Kuh, wie im Aufglimmen der Zigarre, die der Mann rauchte, zu erkennen war. Der Wächter gurgelte ein ›Guten Abend‹, und Lynne erwiderte den Gruß.
Der Kanal machte um das Tor einen kleinen Bogen, und wenige Sekunden später war Clifford außer Sichtweite des Mannes. Jetzt bog die Mauer im rechten Winkel ab, und Lynne kam in einen engen dunklen Durchgang, der an der Mauer entlanglief. Mit Hilfe seiner Taschenlampe konnte er den tiefen Löchern auf diesem anscheinend selten benutzten Fußweg ausweichen.
Plötzlich fand er, wonach er gesucht hatte - eine schmale Tür, die tief in der Mauer zurücklag. Clifford stand still und lauschte ein paar Minuten, dann steckte er den Schlüssel in das Loch und drehte um. Leise öffnete er und schlüpfte hinein.
Soweit er erkennen konnte, hob sich zu seiner Linken die gerade Umrißlinie des Hauptgebäudes gegen den dunklen Himmel. Zu seiner Rechten stand ein Betonschuppen, der so niedrig war, daß die Dachrinne sich nicht über Augenhöhe erhob. Während des Krieges wurden hier die Bomben mit Sprengstoff gefüllt, und dieser Schuppen hatte offenbar zur Unterbringung des Sprengstoffes gedient.
Vorsichtig tastete Clifford sich weiter vor und vermied es, seine Taschenlampe zu gebrauchen. Von irgendwoher aus der Finsternis hörte er Chorgesang. Da liegen also die Arbeiterquartiere, dachte er, als er festgestellt hatte, aus welcher Richtung die Klänge kamen.
Eine schöne breite Steintreppe führte hinunter zum Tor des Schuppens. Wieder verharrte er einige Minuten und lauschte, dann öffnete er mit seinem Hauptschlüssel die Tür. Er ließ seine Lampe aufblitzen und entdeckte eine zweite Treppe, die tief in die Erde hinabführte. Hier waren zwei Tore, aber sie glichen keinem von denen, durch die er bisher gegangen war. Diese Tore waren reich mit Schnitzereien verziert und mit leuchtenden Lackfarben bemalt. Auch ein Laie hätte sie als chinesische Kunstwerke erkannt.
Es dauerte einige Zeit, bis Clifford das Schlüsselloch fand, aber schließlich hatte er eines der beiden Tore geöffnet. Als er es aufschwang, kam ihm schwerer Weihrauchduft und ein beißender Geruch entgegen, den er nur allzugut kannte. Trotz seines Mutes fühlte er sein Herz schneller
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