0519 - Schatten des Grauens
Macht Sie damit ausüben können, zu welchen Dingen Ihr Schatten fähig ist, wenn Sie ihn richtig steuern können? Da ich vorhin einen Kugelschreiber betätigte, war nur eine Kleinigkeit. Sie können es auch. Sie können viel mehr. Sie müssen es nur wollen. Sie müssen nur lernen, es sich vorzustellen. Probieren Sie es aus.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich das auch wirklich will«, erwiderte sie leise.
»Oh, Sie werden es bestimmt wollen, wenn Sie erst einmal erkannt haben, wie sehr Sie sich damit Ihr Leben erleichtern können.« Er zeigte ein verschmitztes Lächeln. »Stellen Sie sich nur vor, wie wunderbar es wäre, morgens noch eine Weile im Bett liegen und Wärme und Ruhe genießen können, während Ihr Schatten das Kaffeewasser aufsetzt und das Frühstück zurechtmacht…«
Sie lachte kopfschüttelnd. »Das ist verrückt, Monsieur Salem.«
»Es ist nicht verrückter als das Benutzen eines Staubsaugers, um sich den Hausputz zu erleichtern. Sie sind etwas Besonders, Mademoiselle Belo. Sie und ich, wir sind auf der Welt vermutlich die beiden einzigen Menschen, die über dieses Können verfügen.«
»Aber gerade das macht mir ein wenig Angst«, gestand sie. »Warum ausgerechnet Sie und ich, warum nur wir beide? Haben Sie mich deshalb gefunden, weil wir einzigartig sind?«
Er nickte. Das war ja prächtig; da beantwortete sie sich die Frage doch glatt selbst, und er brauchte sich nicht mehr mit langatmigen Erklärungen abzugeben. »Ja, wir spüren einander. Da ich mit meiner Fähigkeit schon seit längerer Zeit vertraut bin, ist dieses Gespür bei mir natürlich viel ausgeprägter vorhanden als bei Ihnen. Ich war überrascht, als ich Sie ›fühlte‹; es war neu für mich. Sie werden es auch bald empfinden, wenn Sie erst einmal vertrauter mit Ihrer Fähigkeit sind. Aber nun sollten wir versuchen, aus dieser Gabe etwas zu machen. Versuchen Sie, etwas zu schreiben. Versuchen Sie, Gegenstände zu bewegen. Versuchen Sie, Ihren Schatten an einen Ort zu senden, den Sie gern einmal besuchen möchten. Sie werden erstaunt sein, wie schnell das geht. Ihre Gedanken steuern Ihren Schatten, und Gedanken sind so schnell wie das Licht - möglicherweise noch schneller!«
»Warum sollte ich das tun?« fragte sie verwirrt. »Es wäre einfacher, wenn ich diese Fähigkeit nicht besäße.«
»Eigentum verpflichtet«, drängte Eysenbeiß-Salem. »Sie haben die Gabe nun einmal, also sind Sie auch verpflichtet, sie zu benutzen. Denken Sie nicht nur an sich selbst. Denken Sie daran, was Sie damit auch für die Menschheit tun könnten. Zum Beispiel Kinder aus einer brennenden Wohnung retten, in die sich kein Feuerwehrmann mehr wagen kann.«
»Das… das ist nicht fair«, flüsterte sie. Mit diesem Beispiel hatte er sie gepackt.
»Kommen Sie, Mademoiselle Belo. Ich helfe Ihnen dabei, Ihre Fähigkeit zur Perfektion zu entwickeln. Ich mußte sie mir selbst erarbeiten. Sie werden es leichter haben, denn Sie haben einen Lehrmeister. Zögern Sie nicht mehr länger.«
Sie sah ihn nachdenklich an. Sie fühlte sich unter Druck gesetzt, auf eine eigenartige Weise sogar bedroht. Aber er lächelte so sympathisch, so freundlich, daß das Böse im Hintergrund verschwand und verging.
»Also gut. Sagen Sie mir, was ich tun soll und wie ich es am einfachsten mache.«
Eysenbeiß-Salem triumphierte. Das Opfer war in der Falle, und er brauchte sie nur noch zu schließen.
***
»Na wunderbar«, sagte Nicole sarkastisch. »Die Leasingfirma wird sich über den Autoklau wie wahnsinnig freuen. Hattest du den Wagen überhaupt abgeschlossen?«
»Ich hatte«, brummte Zamorra verdrossen. »Ich hatte sogar die Diebstahlsicherung eingeschaltet. Angeblich soll die ja absolut perfekt sein.«
»Vielleicht wußte der Dieb das nicht«, spottete Nicole. »Ich bin froh, daß wir nicht meinen Wagen genommen haben. Der wäre nämlich unersetzlich.«
Dem mußte Zamorra trotz seines Ärgers zustimmen. Der Liebhaberwert überstieg bei weitem die Summe, die die Versicherung im Zweifelsfall für ein supergepflegtes Cadillac-Cabrio, Baujahr 1959, bezahlen würde.
»Na schön, wandern wir also wieder zur Telefonzelle und verständigen die Polizei. Langsam, aber sicher habe ich das Gefühl, daß Eysenbeiß die Sache inszeniert hat, um uns von unserem Vorhaben abzuhalten.«
»Du meinst, er will verhindern, daß wir mit Francine Belo reden?«
»Könnte doch sein, oder?« gab Zamorra zu bedenken. »Vielleicht hat er sogar das Klingelzeichen an ihrem Telefon blockiert, so
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