056 - Der Werwolf
manchmal in Begleitung eines schmalgesichtigen Mädchens gesehen.
Er würde Barbara nichts davon berichten. Es genügte, wenn sie es in den Nachrichten hörte.
Der Wolf war also hier, ganz in ihrer Nähe. Und morgen nacht war Vollmond!
Eigentlich hätte es ein schönes Wochenende werden können. Gerd und Barbara hatten eingekauft, etwas gegessen und saßen jetzt auf der kleinen Terrasse vor seinem Wohnzimmer. Zwei Tage, in denen Gerd sich ausschlafen, in der Barbara wichtige und unwichtige Dinge erledigen konnte.
Gerd lag im Sessel und las in der gewaltigen Sonntagsausgabe seiner Zeitung. Barbara rauchte und blickte in den Himmel. Es war später Nachmittag. Noch wärmte die Sonne.
„Gerd?“
Der Arzt senkte die Zeitung und blinzelte ins Sonnenlicht.
„Ja?“
„Was kann Hartmann wollen?“
Gerd zuckte die Schultern.
„Keine Ahnung. Er hat sich vermutlich mit Delius unterhalten und gemerkt, daß dieser noch skeptischer ist als er selbst. Warum fragst du?“
Die junge Frau blickte kurz auf die Uhr. „Er hat sich angesagt. Soll ich eine Kleinigkeit vorbereiten? Ein bißchen Toast oder so?“
„Oder so“, meinte Gerd und lächelte. „Das wäre recht gut. Beamte sehen immer so hungrig aus, fast wie wir als junge Assistenzärzte.“
Die heitere Ruhe täuschte.
Neben Gerd Becker lag die entsicherte Waffe. Vorhin hatte er einen Gang durch den kleinen Garten gemacht und nach Spuren des Wolfes gesucht. Aber er hatte nichts gefunden. Er hatte auch die Möglichkeit untersucht, ob das Tier auf die Terrasse kommen könnte, aber sie war so gering, daß man sie außer acht lassen konnte. Der einzige Mieter, von dessen Balkon man vielleicht hätte auf diese Terrasse springen können, war ein älterer Mann, den Gerd nicht näher kannte.
„Hier rundherum wimmelt es von Polizisten!“ sagte Gerd schließlich, als wieder eine Funkstreife vorbeifuhr.
„Und von Polizeihunden. Außerdem sollen sie ein paar Scharfschützen abgestellt haben.“
„Schon möglich!“ brummte der Arzt und dachte an die Waffe neben sich.
Becker vertiefte sich wieder in seine Zeitung. Eine halbe Stunde später klingelte es. Er stand auf, hielt Barbara am Arm zurück und sagte: „Ich mache auf!“
Den Revolver in der rechten Hand, ging er auf die Tür zu und spähte durch die Linse. Es war Hartmann. Gerd hakte die Kette aus und ließ den Kommissar herein. Der Blick des Polizisten fiel auf das antike Schießgerät.
„Wollen Sie den Wolf damit totschlagen?“ fragte Hartmann mit deutlicher Ironie.
„Warten Sie’s ab!“ sagte Gerd und bat den Besucher ins Wohnzimmer.
Hartmann entschuldigte sich für die Störung, lachte plötzlich verlegen auf und sagte zu Dr. Becker: „Wissen Sie, ich bin nur auf einen Sprung hergekommen. Ich bin beunruhigt, denn ich glaube, der Wolf treibt sich hier herum.“
Barbara warf Gerd einen fragenden Blick zu, aber er winkte ab.
„Ich könnte mir denken, daß er sich hier irgendwo versteckt!“ sagte Gerd.
Hartmann musterte anerkennend die Platte mit den belegten Broten und kleinen Salatschüsselchen, die Barbara gerade auf den Tisch stellte.
„Der Umstand, daß morgen nacht Vollmond ist, deutet darauf hin. Haben Sie genügend Polizisten postiert, Herr Hartmann?“
„Ich denke schon. Haben Sie etwa vor, das Haus zu verlassen?“
„Heute nicht!“ sagte Barbara.
„Nein, wir bleiben hier!“ bestätigte auch Gerd.
„Es wird Sie beruhigen, wenn ich Ihnen sage, daß zehn Funkstreifenwagen hier in der Umgebung patrouillieren. Leider liegt dieses Wohnviertel zu nah an den Feldern und dem Isarwald, und das macht eine Suche besonders schwierig wenn nicht gar unmöglich. Ich habe die Ahnung, dieser verrückte Wolf wird heute oder morgen etwas unternehmen. In diesem Fall haben wir die betroffenen Personen unter Beobachtung. Es wird also kein Fiasko geben, wie im Falle Lassner oder Franke.“
Hartmann betrachtete etwas verwundert die schwere Waffe, die wieder neben Gerd lag. Er griff danach.
„Wir stehen also unter Polizeischutz?“ fragte Barbara.
„Soweit die Polizei Sie schützen kann, trifft das zu. Werden Sie uns die Arbeit erleichtern?“
„Natürlich!“ stimmte Gerd zu. „Vorsicht, das Ding ist geladen.“
„Ich sehe es. Betrachten Sie dieses Unikum wirklich als Waffe?“
Gerd grinste und erwiderte: „Es ist meine Abwehrmaßnahme gegen den Wolf, aber nur dann wirksam, wenn man an Werwölfe glaubt. In diesem speziellen Fall glaube ich daran. Haben Sie mit Direktor Delius
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