0597 - Leichen-Ladies
daran war längst verblaßt. Monate, Wochen oder Jahre – was spielte das für eine Rolle?
Der Vampir zerrte sie weiter. Auf irgendeine Art und Weise kam es ihr gnadenlos vor. Sie fühlte sich so hilflos und ausgeliefert, zudem hatte die lange Gefangenschaft sie geschwächt.
Eine Tür knarrte. Vor ihr entstand ein hellgrauer Fleck. Mallmann zerrte sie über die Schwelle, hinein in einen anderen Raum, der nicht so finster war, denn durch die Fenster fiel noch genügend Tageslicht.
Mary Sinclair, die in den letzten Wochen nur ihr Verlies gewohnt war, kam dieser Raum ungewöhnlich groß vor. Er war mehr lang als breit, besaß zwei Türen, drei Fenster und war nicht eingerichtet. Auf den Steinplatten des Fußbodens zeichneten sich die Abdrücke der Schuhe ab. Selbst die Decke hing wie ein dunkelgrauer Himmel über ihren Köpfen.
Die Tür zum Keller befand sich in einer schmalen Nische. Insgesamt besaß der Raum also drei Ausgänge, was Mary Sinclair sehr wohl registriert hatte.
Sie gingen so weit, bis sie die Mitte erreicht hatten. Dort stoppte der Blutsauger.
Als er seine Gefangene losließ, atmete Mary auf. Sie wollte zur Seite gehen, aber Mallmann hielt sie fest. »Nein, nicht so, meine Liebe, so nicht!« Seine Hand war wie eine Klammer, die Marys rechte Schulter festhielt.
Beinahe genußvoll zog er die Frau, die keinen Widerstand leisten konnte, zu sich heran. Scharf schaute er in ihr Gesicht. »Hier!« flüsterte er ihr zu, »hier werden wir auf deinen Sohn warten. Hier wird sich dein Schicksal entscheiden.«
Mary wich dem Blick nicht aus. Das Gesicht des Blutsaugers schien von einem grauen Spinngewebe umgeben zu sein, in dem nur das Augenpaar rot leuchtete.
Sie atmete durch die Nase. Wieder klopfte das Herz schneller, dann erwischte sie der Ruck. Mary fiel gegen den kalten Körper des Untoten. Mit einem blitzschnellen Griff umarmte er die Frau, drehte sich und preßte sie mit dem Rücken an sich, während er mit einer Hand ihren Kopf nach rechts drückte, damit sich die Haut auf dem Hals spannte und die Adern hervortraten.
»So werden wir auf ihn warten!« hauchte er. »So erwarten wir deinen lieben Sohn.« Der Blutsauger beugte sich weiter vor. Jetzt reichte nur mehr ein kleiner Ruck, um die Zähne in den Hals bohren zu können.
Mary Sinclair gab keinen Kommentar ab. Sie stand da und atmete durch den offenen Mund. Schwer saugte sie den Atem ein und stieß ihn zischend wieder aus.
Einmal spürte sie, wie Mallmann seine Zahnspitzen über ihre Haut gleiten ließ, und sie erstarrte vor Grauen…
***
Aus einer Person waren drei geworden, dann zu Asche zerfallen und durch den Wind weggeweht.
Mit dieser Tatsache hatten wir uns abzufinden, aber wir glaubten beide, daß dies nicht das Ende war. So wie die Leichen-Ladies zusammengefallen waren, würden sie auch wieder entstehen können.
Suko hatte die Eingangstür aufgestoßen, war in den Bau gehuscht, während ich ihm Rückendeckung gab.
Niemand erwartete uns. Jetzt standen wir endlich innerhalb der Mauern und schauten uns um.
Leere gähnte uns entgegen. Wir sahen einen alten Tisch, der auf dicken, schrägen Beinen stand. Mit schußbereiten Waffen durchquerten wir den Raum, schauten auch hinter den verstaubten Vorhängen nach, ohne eine Spur zu entdecken.
»Hier geht es jedenfalls nicht in den Keller«, sagte Suko und nickte. »Wir sollten uns doch trennen.«
»Wo willst du hin?«
Er lächelte. »Den Keller muß ich ja dir überlassen, es ist schließlich deine Mutter. Ich werde mal schauen, ob ich eine Spur von Jane Collins finde.« Er ging auf eine Tür zu, die sich als dunkles Rechteck von der Wand abhob. Er öffnete sie, schaute nach und drehte sich wieder zu mir um. »Was liegt dahinter, Suko?«
»Ein Gang, mehr nicht.«
»Kannst du sehen, wo er hinführt?«
»Nein, jedenfalls an der Außenseite des Gebäudes entlang.« Suko lächelte. »Das ist fast wie bei einem richtigen Kloster. Ich sollte ihn mir mal näher anschauen.«
»Ja, tu das!«
»Okay, Alter, halt die Ohren steif. Wir hören wieder voneinander. Wahrscheinlich mußt du noch einmal hinaus und einen anderen Eingang nehmen. Die haben ja mehrere davon.«
Daran hatte ich auch schon gedacht. Einen Lidschlag später war die Tür wieder geschlossen und Suko verschwunden.
Ich blieb noch einen Moment stehen und lauschte in die Stille hinein. Kein Laut durchbrach sie, nur meinen eigenen Atem hörte ich.
Auf der Stelle drehte ich mich um und ging den Weg wieder zurück.
Im Haus war es
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