0612 - Nachts jagt die schwarze Katze
woanders, oder sie kam erst später.
Adrienne verließ den großen Gesellschaftsraum.
Dabei stellte sie fest, daß sie plötzlich eine Umhängetasche trug, und an ihrem Handgelenk befand sich eine Armbanduhr.
Beides war ihr fremd.
Da bemerkte sie, daß sie auch ein anderes Kleid trug.
»Verrückt!« entfuhr es ihr. »Ich träume ja wohl…«
Aber sie träumte nicht. Sie war hellwach, und sie erkannte die Uhr. Michelle trug so ein verrückt gestyltes Ding, und eine solche Umhängetasche, wie sie Adrienne jetzt trug, hatte sie auch schon bei der Freundin gesehen.
Und das Kleid?
Das war doch wohl nicht auch Michelles?
Und wo war eigentlich Adriennes eigenes Kleid geblieben?
Sie hatte es doch eben noch getragen, hatte es doch im Pavillon wieder angezogen!
Rasch eilte sie zu ihrem Zimmer. Sie riß sich die fremden Sachen vom Leib und holte eigene aus den Schränken, um sie anzuziehen.
Und aus irgendeiner Laune heraus öffnete sie dann die Umhängetasche.
Was sie darin fand, erstaunte sie doch sehr…
Eine Heckler & Koch-Pistole in einem Clipholster, das sich am Rock- oder Hosenbund befestigen ließ.
Zwei geladene Ersatzmagazine.
Und ein Ausweis.
Den sah sich Adrienne genauer an.
Er zeigte Michelles Paßfoto - und es handelte sich um einen Dienstausweis der Kriminalpolizei von Lyon!
»Oh, nein«, flüsterte Adrienne, und sie fühlte sich von einer Sekunde zur anderen verraten und verkauft…
***
Jaques deRoguette wandte sich langsam um und sah die Frau an, die hinter ihm vor der Pavillontür stand.
Das war doch Adriennes Freundin, diese Michelle Garon, die einen Polizisten ins Haus geschleppt hatte!
Wie kam sie hierher? Was wollte sie hier?
Außerdem stimmte etwas mit ihr nicht.
DeRoguette brauchte ein paar Sekunden, bis er erkannte…
Michelle trug Adriennes Kleidung!
»Sie scheinen eine Vorliebe für befremdliche Scherze zu haben«, sagte er schroff, während er nach draußen trat und sie damit von der Tür zurückdrängte. Der Leibwächter folgte ihm und stellte sich sperrend in den Durchgang. »Warum fragen Sie mich nach meiner Tochter, wenn Sie sie längst getroffen und mit ihr die Kleider getauscht haben?«
»Was… was habe ich?« Überrascht starrte Michelle den Adligen an, sah dann an sich herunter.
»Das gibt’s doch nicht«, stieß sie hervor. »Und daß ich plötzlich hier draußen bin, gibt’s doch auch nicht! Gerade hat mich doch drinnen im Haus der Zauberer in den Kasten gebeten und - und jetzt bin ich hier und…« Sie zupfte an dem Kleid, schüttelte den Kopf…
Und sah etwas hinter dem Leibwächter im Pavillon liegen, obgleich sich der Mann so aufgestellt hatte, daß er ihr die direkte Sicht ins Innere des Raumes versperrte.
Da lag doch jemand…
»Wieso sind Sie denn hier draußen, Comte?« erkundigte sie sich. »Das muß doch einen Grund haben.«
»Bitte, gehen Sie wieder ins Haus zurück«, verlangte deRoguette, anstatt eine Antwort zu geben. »Dies ist… eine Familienangelegenheit.«
»Hat es etwas mit Adrienne zu tun?« fragte Michelle. Sie trat einen Schritt zur Seite, erkannte Schuhe und Hosenbeine des Mannes, der dort im Pavillon lag.
»Nein. Und Sie - Sie sollten Ihre seltsamen Scherze nicht übertreiben!« DeRoguette deutete auf das Kleid, das Michelle trug. »Bringen Sie das wieder in Ordnung. Ich mag derlei nicht. Adrienne sollte das eigentlich auch wissen.«
Er schnipste mit den Fingern, und der Bedienstete, der sich wieder einigermaßen erholt hatte, kam zögernd heran.
»Begleiten Sie Mademoiselle Garon zum Haus zurück.«
Der Mann nickte. »Folgen Sie mir bitte.«
Der Polizistin blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung nachzukommen, wenn sie nicht noch mehr auffallen wollte.
Dieser Zauberer… Wie hatte er es geschafft, sie hierher zu versetzen, und das auch noch in fremder Kleidung?
Und wer war der Mann, der im Pavillon lag?
***
»Hat sie etwas gesehen?« fragte deRoguette, als er und der Leibwächter wieder in den Pavillon zurückgekehrt waren.
»Ich glaube nicht«, erwiderte der Leibwächter. »Sie trauen ihr nicht, Chef?«
»Keinen Meter weit. Sie ist mit einem Polizisten hier. Und vielleicht ist sie selbst Polizistin und hat ihn mit eingeschleust. Vielleicht hat es auch mit diesem Wisslaire zu tun, der heute ganz offiziell hier war. Ich muß mir dazu etwas einfallen lassen, um diese beiden unter meine Kontrolle zu bringen - oder unter die Erde! Und unter die Erde bringen müssen wir auf jeden Fall auch diesen Mann hier. Ganz
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