073 - Dämonenrache
und Schweinehälften auf ihren gekrümmten Rücken. Über den Kopf hatten sie eine weiße Kapuze gelegt, die am Rücken in ein breites Tuch auslief. Damit war der Hygiene schon Genüge getan.
Lardin war ein primitiver Mann, der nie etwas gelernt hatte. Er war froh um seinen Posten in der Großmarkthalle.
Roland Copernic schlenderte die Reihen der wartenden Lastwagen ab, deren hintere Türen offen der Verladerampe entgegengähnten. Der junge Anwalt suchte mehr als zehn Minuten, bis er Edmont Lardin in einem Kreis von Trägern ausmachte, die etwas abseits Zigaretten rauchten und sich wegen der Kälte mit den Armen um den Oberkörper schlugen.
»Hallo, Monsieur Lardin!«
Ein Mann mit schwarzen Haaren und grobschlächtigem Gesicht wandte sich suchend um. Er erkannte den Anwalt nicht sofort.
»He, was wollen Sie von mir?«, sagte er dann. »Ich kenne Sie doch irgendwoher.«
»Stimmt. Wir sind uns einmal im Gericht begegnet.«
Sofort verschloss sich das Gesicht Lardins zu einer misstrauischen Grimasse. Mit dem Gericht wollte er nichts zu tun haben.
»Keine Angst«, sagte Copernic. »Sie waren Zeuge im Prozess gegen Dumarche. Sie erinnern sich doch noch?«
»Natürlich. Dumarche. Sie haben ihn geköpft, stimmt’s?«
»Stimmt. Aber ich hätte noch ein paar Fragen an Sie.«
»Jetzt weiß ich’s wieder, Sie waren sein Anwalt, stimmt’s?«
»Stimmt. Haben Sie einen Augenblick Zeit?«
»Ob ich Zeit habe?« Lardin schaute den Anwalt mit schräg gestelltem Kopf lauernd an.
Seufzend griff Copernic in seine Tasche. Seine Hand kam mit einem Zehnfrancschein wieder.
»Natürlich habe ich Zeit, Monsieur«, sagte Edmont und grinste dümmlich. »Was wollen Sie noch von mir wissen? Jetzt, wo der Kopf schon ab ist?«
Edmont entfernte sich von der Gruppe und trat seine Zigarette aus.
»Sie haben vor Gericht etwas von einer Sekte gesagt, der Leon angehört haben soll.«
»Ach das! Hab ich doch schon alles erzählt. Wollen Sie’s noch mal hören?«
»Ich will von Ihnen wissen, welche Sekte das war.«
»Gesagt hat er mir’s mal. Hab’s wieder vergessen.« Lardin schielte auf die Tasche, aus der Copernic den Geldschein geholt hatte.
»Gut. Hier haben Sie weitere zehn Franc. Aber jetzt möchte ich alles wissen! Verstehen Sie? Alles!«
»Für zwanzig Franc hab ich ein prima Gedächtnis, Monsieur. Leon hat mir erzählt, dass er einer Sekte angehört. Irrer Verein das. Ganz irrer Verein. Heißen die toten Brüder oder so ähnlich. Ja, so ähnlich. Brüder der Toten heißen sie. Ja, das hat Leon gesagt. Wollte mich mal mit hinnehmen dorthin. Nur im Suff natürlich. Hab ihn später mal darauf angesprochen. Wollte nichts mehr wissen davon. Dieser falsche Türke. Sagte, er kennt sie nicht. Die toten Brüder oder so ähnlich.«
»Hat Leon Ihnen erzählt, wo sich diese Sekte trifft?«
Lardin schaute wieder auf die Tasche Copernics.
»Keinen Centime mehr«, sagte Copernic scharf. »Ich kann Ihnen allenfalls eine Anzeige wegen Falschaussage verschaffen. Sie wissen doch: Wer eidlich oder uneidlich eine Falschaussage macht oder eidlich oder uneidlich eine Angabe verschweigt, macht sich...«
Lardin winkte ab. »Schenken Sie sich das, Monsieur. Kenne den Text. Schon öfter gehört. Sag ja schon, was ich weiß.«
»Dann lassen Sie hören!«
»In der Rue St. Clarin muss ein Bau sein, der sieht aus wie eine russische Kirche. Ich hab’ mir den Namen deshalb gemerkt, weil da früher mal ein Onkel von mir gewohnt hat. In der Rue St. Clarin, meine ich. Nicht in dem Bau natürlich. Also da trafen die sich jeden Mittwoch. Aber mehr weiß ich wirklich nicht mehr. Ehrlich, Monsieur.«
»Ist schon gut. Das war ohnehin schon mehr, als ich gedacht hatte. Hier haben Sie noch dreißig Franc extra. Das war mir die Sache wert.«
»He, Monsieur. Das finde ich aber nobel. Sie können gern wiederkommen. Ich weiß noch viel mehr!«
»Über Leon?«
»Ach nein, den nicht. Aber über andere Kumpels.« Seine Augen leuchteten gierig auf.
»Nein, danke«, meinte Roland Copernic. »Kein Bedarf. Au revoir, Lardin.«
»Merci beaucoup, Monsieur.«
Danach hatte sich Roland ein Taxi genommen und war nach Hause in seine Junggesellenbude gefahren. Er spürte die Müdigkeit in allen Knochen.
Im automatischen Anrufbeantworter in seinem Büro hinterließ er noch, dass er heute nicht mehr in die Kanzlei kommen würde. Dann legte er sich aufs Ohr.
Er schlief tief und traumlos...
***
Es war Dienstag. Hatte es einen Sinn, heute schon in die Rue St. Clarin zu
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