073 - Dämonenrache
1970 bei einem Autounfall ums Leben. Sie hinterließen Ihnen ein bescheidenes Vermögen, das Ihnen erlaubte, Ihre Studien zu beenden und eine Anwaltspraxis zu eröffnen. Ihre Mutter hieß Lucienne und Ihr Vater Antoine. Sie haben beide sehr geliebt. Es traf Sie schwer, als sie von ihrem Tod erfuhren. Sie hatten sogar Selbstmordgedanken, weil Sie sich an ihrem Tode schuldig fühlten. Sie hatten drei Briefe Ihrer Mutter aus Nachlässigkeit nicht beantwortet, und Ihre Eltern machten sich deshalb derartig große Sorgen um Sie, dass sie beschlossen, Sie unverhofft zu besuchen. Auf der Fahrt zu Ihnen passierte der Unfall. Das Auto wurde von einem überholenden Bus gerammt. Ihr Vater war sofort tot, Ihre Mutter starb sechs Stunden später im Krankenhaus von Besancon.«
Roland glaubte, in einen Traum hineingeraten zu sein. Er hatte nie mit anderen über den Tod seiner Eltern gesprochen. Wenn er es richtig bedachte, dann war er sich über die genaue Ursache seiner damaligen Depressionen nie richtig im Klaren gewesen.
Dieser Polynesier hatte sie beim Namen genannt. Schonungslos, als kenne er die Gedanken Rolands besser als Roland selbst.
Der junge Anwalt schwankte leicht, als er auf den Sitzenden zuging. Ein leichtes Lächeln hatte sich um die Mundwinkel des Asiaten eingenistet.
Roland setzte sich. Sein Staunen war immer noch nicht gewichen.
»Wundern Sie sich nicht«, sagte Leloc sanft. Von seiner Stimme ging eine ungeheure Beruhigung aus. Sie war weich und mitfühlend, sehr, sehr warm und menschlich. »Ich habe nur in ihren Erinnerungen gelesen, Monsieur Copernic. Ich wollte Sie genau kennen lernen. Sie gefallen mir.«
Er entfaltete seine Hände und senkte sie.
»Ich möchte Ihnen gern helfen. Stellen Sie Ihre Fragen.«
»Wozu Ihnen Fragen stellen? Sie kennen sie bereits.«
»Ja. Aber es erleichtert die Unterhaltung, wenn wir zusammen sprechen. Es strengt mich sehr an, wenn ich Ihre Gedanken lesen will, und ich möchte es auch nicht gegen Ihren Willen tun. Die kleine Demonstration am Anfang diente lediglich dazu, Sie schneller Vertrauen zu mir gewinnen zu lassen.«
»Ich hatte eine Menge Fragen, als ich hier ankam. Sie sind verflogen, als hätte ich diese Fragen nie stellen wollen, als hätte ich mich geistig nie damit auseinander gesetzt.«
»Dieser kleine Schock vergeht schnell«, beruhigte der Asiate den jungen Anwalt. »Bis es so weit ist, werde ich schon einmal anfangen. Sie haben von einer angeblichen Sekte gehört, die sich Brüder der Toten nennt. Leon war einmal Mitglied bei uns. Doch ich muss schon hier korrigieren: Die Vereinigung der Brüder der Toten ist alles andere als eine Sekte. Wir haben auch nicht vor, eine Religion zu gründen. Was die einzelnen Mitglieder untereinander verbindet, ist ihr fester Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod.«
Roland hatte sich wieder ein wenig erholt. Er war nicht besonders religiös. Um sich Gedanken über ein ›Danach‹ zu machen, fühlte er sich noch zu jung. Deshalb erwachte trotz der Demonstration Lelocs sein Misstrauen wieder.
»Ein Weiterleben nach dem Tod? Sie glauben das wirklich?«
»Ich weiß es. Bei den Brüdern der Toten bedarf es keines Glaubens mehr. Wir haben Beweise. Jeder von uns kann sich durch Meditation in das Reich der Toten versetzen.«
»Alles in mir wehrt sich dagegen, das für bare Münze zu nehmen. Aber ich werde mich bemühen, Ihre Feststellung als Tatsache zu werten. Dumarche konnte das auch?«
»Er hatte ein sehr großes Talent dafür. Er hätte mein Nachfolger werden können. Doch er unterlag den Versuchungen. Er ist zu jung zu uns gestoßen. Wir konnten ihn nicht mehr halten.«
»Und von welcher Art sind die Experimente, die Sie und Ihre Gruppe...«
»Wir machen keine Experimente. Wir meditieren zusammen, gehen hinüber in das Reich der Toten und unterhalten uns mit ihnen. Wir bereiten uns auf die Zeit vor, die nach unserem menschlichen Dasein beginnt. Ich glaube, ich muss weiter ausholen, um Ihnen unser aller Sein plausibel zu machen.«
Leloc senkte den Blick. Er hatte lange Wimpern. Roland fielen sie aus irgendeinem Grund auf. Alles in ihm sträubte sich, diesem Mann auch nur ein Wort von dem, was er sagte, zu glauben. Aber er war nun einmal hier. Also wollte er auch zuhören.
»Das Sterben geht in drei Abschnitten vor sich. Zuerst merkt die Seele gar nicht, dass sie ihre Körperlichkeit verlassen hat, denn die Kontinuität des eigentlichen Daseins erfährt ja keine Unterbrechung, sodass sie sich über die eingetretene
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