0741 - Die schwarze Hand von Taarnfeld
Beginn des 18. Jahrhunderts sei es gewesen - ein kleines Mädchen in den Dienst eines Großbauern gezwungen wurde. Ihr Name war wohl Anna, und ihr wurde übel mitgespielt…«
***
Taarnfeld - Anno 1702
Als plötzlich ihr Kopf zu explodieren schien, nahm Annas Verstand von einem Moment zum anderen Abstand von dem, was in der gleichen Sekunde mit ihrem Körper geschah.
Es war so, als wären aus einer Einheit zwei getrennte Dinge entstanden. Anna konnte die Szenerie aus einer Perspektive beobachten, die für sie völlig verwirrend erschien, denn ihr war, als würde sie neben sich selbst stehen, als wäre sie ein unbeteiligter Beobachter, den das alles im Grunde nichts anging.
Und doch litt sie mit dem Wesen, dem dort brutale Gewalt angetan wurde!
Und sie hasste die Menschen, die diese Gewalt ausübten, hasste sie mit einer Intensität, die sie niemals für möglich gehalten hatte.
Es dauerte eine Weile, doch dann verstand Anna. Er hatte bewirkt, dass Annas Geist sich von ihrem Körper gelöst und sich mit seiner Existenz verbunden hatte.
Daher war sie auch nicht überrascht, als seine Stimme in ihr erklang. »Siehst du, was er tut? Siehst du es? Schau genau hin, Anna, ganz genau!«
Sie hätte auch ohne diese Weisung nicht anders gekonnt, denn die Gewalt, die sie so sehr verabscheute, zog sie doch zur gleichen Zeit in ihren Bann. Wie konnten Menschen einander nur so etwas antun?
»Weil sie mächtiger als andere sein wollen?« Die Stimme war dunkel und kühl, doch sie gab Anna auch ein Gefühl der Sicherheit. »Weil sie herrschen wollen, auch dann, wenn sie dumm und unfähig sind. Und so üben sie Gewalt aus, um ihr Ziel zu erreichen. Sieh ganz genau hin - und lerne!«
Lernen?
Anna verstand nicht. Was sollte sie lernen? Gewalt zu verstehen und anzuwenden?
Ihre Fragen wurden beantwortet. »Sieh den Bauern - so hat er es mit unzähligen Mädchen gemacht, die ihm ausgeliefert waren. Mit Katrin, mit Lisa, mit so vielen namenlosen Kindern, die seiner Kraft und Macht nicht gewachsen waren. Schau dir Lisa an. Heute schlägt sie ihr Mann, weil auch er dem Bauern ausgeliefert ist. Sie wird aus diesem Teufelskreis nie ausbrechen können!«
Anna schien es, als würde sich die Stimme mit jedem Wort verändern, an Härte und Schärfe verlieren, weicher und weiblicher werden.
Und dann war es ganz klar - ihr Beschützer war gar keine männliche Wesenheit!
»Auch ich war eines seiner Opfer, vor vielen Jahren«, erzählte die Stimme, die Anna nun eindeutig als weiblich erkannte. »Nun bin ich stark genug, nun kann ich ihn bekämpfen! Durch dich, Anna, werde ich seinem Treiben ein Ende setzen! Ich, und alle seine Opfer, die in mir sind. Wir brauchen dich!«
Annas Denken war überfordert, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Durch sie sollte der Bauer bekämpft werden? Durch ein kleines Mädchen, dessen Körper geschändet, und dessen Kopf halb eingeschlagen worden war? Durch ein mageres, halb totes Kind?
»Bist du bereit uns zu helfen?« Die Stimme klang entschlossen und fordernd, und Anna glaubte, nun unzählige Frauenstimmen zu vernehmen, die wie ein Echo die Frage nachhallen ließen.
Anna wollte fragen, warum sie ihr im entscheidenden Moment keine Warnung hatte zukommen lassen, doch dann fürchtete das Mädchen sich vor der Antwort, die sie bereits erahnte: Sie hatte diese Situation heraufbeschworen, sie regelrecht so inszeniert, denn der Wald vor dem Höhleneingang war nichts anderes als eine Theaterbühne, auf der der letzte Akt der Rache aufgeführt werden sollte!
Anna spürte einen unbändigen Hass gegen das menschliche Monstrum, das ihrem Körper Gewalt antat.
»Ja, ich bin bereit!« Und Anna erschrak vor ihren eigenen Worten…
***
Der Bauer schwitzte wie ein Schwein.
Nun endlich hatte er sich geholt, was ihm schließlich zustand, denn er und niemand anderes war der Herr dieser Gegend. Und was er wollte, das bekam er auch. Ganz gleich, auf welche Weise das geschah.
Das Mädchen rührte sich nur noch schwach. Er war nicht sicher, ob sie das alles überleben würde, doch was machte das schon für einen Unterschied? Für ihn sicherlich keinen.
Der Kopf der Kleinen sah nicht gut aus, gar nicht gut. Vielleicht sollte er sie hier ganz einfach liegen lassen. Die Tiere des Waldes würden wohl für den Rest sorgen.
Mit seinen kleinen Augen sah der Bauer zu Lisa und ihrem Mann. Die zwei konnten dabei natürlich ein Risiko darstellen, denn Lisa war unberechenbar. Ihr Mann hatte mächtig Angst vor seinem Herrn und
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