0766 - Das Grauen von Grainau
den beiden Betten war breit genug, um sich dort bewegen zu können. Sie schlüpfte in die hochhackigen Pantoffeln und schritt in Richtung Bad, weil sie eine Dusche nehmen wollte, die ihr den klebrigen Schweiß vom Körper wusch.
Obwohl das Licht im Bad weich war, blinzelte sie, als sie den Schalter umgelegt hatte.
Zu einer Suite gehörte immer ein geräumiges Bad. Da war eben die Dusche von der Wanne getrennt. Man mußte keine Verrenkungen machen, wenn man sich duschen wollte.
Zuerst schaute sie sich im Spiegel an. Sie lächelte. Ihre Lippen waren breit und sinnlich. Wenn sie ihren Körper betrachtete, so konnte sie zufrieden sein. Auf den hoch angesetzten Busen war sie schon als junges Mädchen stolz gewesen, und auch mit fast achtunddreißig hatte er noch nichts von seiner Straffheit verloren.
Sie strich mit den Händen über ihren Körper hinweg, spielte unbewußt mit ihren Brustwarzen und hörte damit auf, als sie feststellte, daß es sie erregte.
Die Dusche mußte jetzt sein.
Als Viereck war sie in den Raum hineingebaut worden. Neben ihr stand das Bidet. Weiße Kacheln mit einem leichten Grauschimmer fingen das weiche Deckenlicht auf. Es roch nach Seife und Parfüm.
Eartha öffnete die Schiebetür der Dusche. Wenig später genoß sie es, von zwei Seiten geduscht zu werden, schloß die Augen und stellte sich eine Welt vor, in der es nur Frieden gab.
Ruhe, keine Hetze, keine Angst. Nicht immer gejagt zu werden und auf der Flucht zu sein. Das hätte ihr gefallen können. Statt dessen wußten sie alle nicht, wie es weitergehen würde, denn dieses Hotel war keine Bleibe für immer.
Sie schäumte sich kurz ein, ließ das Haar nicht naß werden und schlüpfte wenig später in den weichen, weißen Bademantel, der so herrlich flauschig war. Sofort fühlte sie sich darin geborgen, doch sie spürte auch, wie wenig müde sie war. Schlafen konnte sie jetzt nicht, sie mußte sich ablenken. In ihrem Blut kribbelte es.
Sidney schlief. Er lag auf dem Rücken. Seinem offenen Mund entwichen leise Schnarchtöne. Sie gönnte ihm diesen Schlaf, denn sie wußte genau, wie sehr er gelitten hatte und immer darüber nachdachte, ob es wirklich richtig gewesen war, was er getan hatte. Auch Eartha hatte ihm da nicht helfen können. Lange genug hatten sie darüber nachgedacht und diskutiert, dann war die Entscheidung gefallen, und die USA lagen hinter ihr. Sie wollte auch so schnell nicht mehr in dieses gewaltige Land zurückkehren. Vielleicht bot sich in Europa eine Chance, ein zweites Leben anzufangen. Es war ihr dabei gleichgültig, in welchem Land sie es aufbauen würden, nur weg von ihren Feinden.
Das genau war das Problem.
Man hatte die Jagd auf sie eröffnet, und die Frau glaubte nicht, daß sie unentdeckt bleiben würden.
Sie ging sogar davon aus, daß die andere Seite über den Aufenthaltsort der Familie Bescheid wußte.
Deshalb mußten sie auch hier auf der Hut sein. Die Gäste des Hotels hatte sie sich alle sehr genau, aber unauffällig angeschaut. Einen Verdacht hatte niemand erregt, doch wer sah einem Killer schon an, daß er einer war.
Hinzu kam noch das Problem Mario. Seine Mutter wußte, was mit ihm los war. Der Vater ahnte zwar etwas, aber er hätte nie gewußt, in welche Richtung zu forschen war. Vielleicht wollte er gewisse Dinge auch einfach ignorieren.
Eartha dachte da anders.
Mario war weg. Sie hatte ihn gehen lassen. Sie wußte, was er vorhatte, und sie gönnte ihm einen Erfolg. Möglicherweise schaffte es der Junge sogar, sie alle vor dem Schicksal des Todes zu retten, wenn auch mit ungewöhnlichen Möglichkeiten.
Sie erinnerte sich daran, wie sehr er aufgeschreckt worden war, als er den Namen Grainau gehört hatte. Als hätte ihn etwas mit diesem Ort verbunden. Da war was an die Oberfläche gedrungen, das lange verschüttet gewesen war.
Er hatte hingewollt. Es war wie ein Drang gewesen, und gemeinsam war es ihnen gelungen, auch Sidney auf Grainau einzustimmen. Nun hatte er sich einigermaßen an diesen Ort und auch an die herrliche Umgebung gewöhnt.
Auf leisen Sohlen durchquerte Eartha Davies das Schlafzimmer und betrat den Wohnraum der Suite, zu der auch die Terrasse gehörte. Die Doppeltür war geschlossen. Eartha mußte einen Hebel umlegen, um sie zu öffnen. Die kühle Nachtluft strömte ihr entgegen. Nach der Hitze der letzten Tage war es eine Erholung, sie einatmen zu dürfen. Die nächsten Tage würden wieder warm werden, aber in den Nächten zumindest kühlte es sich ab, das hatte sie
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