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0766 - Das Grauen von Grainau

0766 - Das Grauen von Grainau

Titel: 0766 - Das Grauen von Grainau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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brachte er keinen Schrei hervor. Was aus seiner Kehle drang, war nicht mehr als ein dumpfes Röcheln, und auch das erstickte immer mehr.
    Mario Davies drehte sich um. Er wollte den Mann in den letzten Sekunden seines Lebens allein lassen. Deshalb ging er dorthin, wo die Mauer begann, und er setzte sich auf die Kante.
    Gelassen schaute er auf seine Uhr. Noch fünfzehn Minuten dauerte es, bis die erste Stunde des Tages vorbei war. Er freute sich, denn er lag gut in der Zeit.
    Der Junge ließ seinen Blick über das mondbeschienene Gräberfeld streifen. Dort breitete sich das nächtliche Schweigen aus. Auch von der Straße her drangen kaum Geräusche zu ihm hoch. Der Wind hielt sich zurück, die Berge standen wie Wächter, und der Himmel funkte immer dort auf, wo die Sterne leuchteten. Dieses Bild des Friedens hätte er eigentlich genießen müssen, doch da gab es noch die zweite Seite, die diesen Friedhof beherrschte.
    Hinter ihm, wo noch immer die neun Flammen brannten. Den verzweifelten Kampf des Menschen gegen die Natur rissen sie aus der bedrückenden Finsternis. Mario schaute nicht hin, nur ein feines Lächeln umspielte seine Lippen, als er die Geräusche vernahm. Er freute sich nicht über den Tod des Menschen, für ihn war wichtig, daß die andere Kraft gewann, die er gesucht hatte. Er war nicht vergebens gekommen. Es gab sie, und sie würde ihm helfen. Zielsicher hatte er diesen Weg gefunden. Es wurde ihm abermals bewußt, daß er etwas Besonderes war, und diese Tatsache genoß er auch.
    Der Gärtner konnte nicht schreien, auch wenn er es gewollt hätte. So hörte der Junge nur die Laute der Verzweiflung, die in den letzten Sekunden leiser geworden waren. Ein Zeichen dafür, daß der Mann immer tiefer gesackt war, der Druck sich verstärkt hatte und er so gut wie keine Luft mehr bekam.
    Das Grab war stärker, der Tote hatte seine Kraft all die Jahre über bewahrt.
    Mario nickte zufrieden.
    Ein letzter klagender Hilfeschrei erreichte seine Ohren. Dann erstickte das Geräusch in einem dumpfen Gurgeln, als hätte sich der Mund des Versinkenden mit einer dicken Masse gefüllt, was wohl auch so war, und Mario atmete tief durch.
    Geschafft - erledigt!
    Er hatte die Hände flach zu beiden Seiten des Körpers auf die Mauer gestemmt. Da spürte er die rauhe Oberfläche auf seiner Haut, und die Köpfe der kleinen Steine, aus dem der Putz bestand, drückten sich tief in sein Fleisch, wo sie ein Muster hinterließen.
    Er schwang die Beine hoch und stellte sich hin. Die helle Lichtinsel wirkte wie gemalt und gleichzeitig wie ein Fremdkörper, der sich auf dem Friedhof ausbreitete.
    Es roch noch immer gleich. Da hatte sich nichts verändert. Es kam auch niemand, um nach dem Gärtner zu suchen. Man würde ihn spätestens in einigen Stunden vermissen, dann eine Suche starten, doch auf die Idee, wo er tatsächlich steckte, würde niemand kommen. Daran konnte man keinen Gedanken verschwenden.
    Es lief gut…
    Er ging den Weg zurück. Leicht nach vorn gebeugt. Er bewegte sich auf den Wegen, dann blieb er nur einen Moment vor dem kleinen Abhang stehen und schaute hoch.
    Das Licht brannte. Die Flammen bewegten sich leicht, weil der Wind mit ihnen spielte. Der Geruch alter Erde wurde von einem beißenden Gestank überlagert, den der Rauch abgab. Als zitternde Fäden trieb er dem Jungen entgegen.
    Mario Davies fühlte sich wohl. Nie hätte er gedacht, daß dies der Fall sein würde. Er konnte fast behaupten, daß er sich noch nie so wohl gefühlt hatte, die Welt empfand er plötzlich als schön, und er dankte seinem Schicksal, das so viel für ihn getan und ihn in diese Gegend geführt hatte.
    Es lief alles gut.
    Es würde auch alles gut werden. Selbst für die Toten in der Erde, die er so liebte.
    Wenn er daran dachte, daß noch vor wenigen Minuten ein Mensch hier gestanden hatte, konnte er nur den Kopf schütteln. Von dem war nichts mehr zu sehen. Nicht ein Finger ragte aus der Graberde. Sie zeigte auch keine Einbuchtungen, Kerben oder Spalten. Nichts wies darauf hin, daß dieses Grab vor kurzer Zeit noch einen Menschen verschlungen hatte. Die Oberfläche sah aus wie immer.
    Für diesen Vorgang hatte es keinen Zeugen gegeben. Der terrassenartige Friedhof blieb umschlossen von einer dumpfen Stille, und als Mario zur Kirche schaute, da mußte er wieder lächeln.
    Auch sie hatte nicht geholfen. Wenn die Kräfte der anderen Welt sich einmal formiert und auch erholt hatten, war alles andere zweitrangig geworden.
    Das Grab lockte ihn noch

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