0766 - Das Grauen von Grainau
eingestellt worden. Die Boote waren auf die Uferstreifen gezogen worden, lagen in Reih und Glied nebeneinander und sahen so aus, als hätten sie sich zum Schlafen niedergelegt. Drüben am Kiosk schloß die Verkäuferin soeben die Tür zu, hob ihre Segeltuchtasche an und verschwand aus meinen Blicken.
Ich schaute mich nach der Familie Davies um, weil ich mir einfach vorstellen konnte, daß sie hier ebenfalls sitzen würden. Es stimmte. Sie hatten einen Tisch dicht an der Mauer bekommen und hielten bereits die Speisekarten in den Händen. Ihre Gesichter waren dahinter versteckt.
»Und wo ist Ihr Tisch, meine Damen?« fragte ich.
»Dort.« Sally bewegte ihren ausgestreckten Zeigefinger nach unten. Die Spitze zeigte auf die Mauer. »Wir sitzen wunderbar mit Blick auf den See.«
Das kam mir natürlich gelegen, denn so hatte ich die Davies' gut im Blick.
Auch als wir unsere Plätze eingenommen hatten, war ich von ihnen noch nicht entdeckt worden.
Mutter und Sohn - sie saßen zwei Tische weiter - drehten mir den Rücken zu, wobei mir Eartha ihr Profil zeigte. Die Frau trug ein grünes, eng anliegendes Kleid, das auch sehr kurz war und im direkten Gegensatz zu ihrer dunklen Haut stand. In die Haare hatte sie ebenfalls eine grüne Schleife gebunden.
Wir nahmen Platz und genossen für einen Moment die frische Luft, die vom See her über die Terrasse wehte. Leider war sie auch feucht, und an den Uferregionen hatte sich der erste Nebel gebildet.
Dennoch blieb es schwülwarm.
Man brachte uns die Speisekarten.
In den folgenden Minuten waren wir mit der Auswahl des Gerichts beschäftigt. Wasser hatten wir bestellt. Die beiden Amerikanerinnen konnten sich nicht entscheiden. Ich hatte schon gewählt und wollte einen Sauerbraten essen. Dazu gab es Rotkohl und Klöße. Sally und Audrey entschieden sich für Fisch. Sie wußten nur noch nicht ob sie Lachs oder Scampis nehmen sollten.
Ich hatte die ziemlich große Speisekarte sinken lassen, um einen guten Blick zu bekommen. Natürlich schaute ich nach rechts, aber nicht zu auffällig, denn so leicht sollten die Davies' nicht bemerken, wer da in ihrer Nähe saß.
Sie trafen auch keine Anstalten, die Stühle zu verrücken, waren mit sich selbst beschäftigt und flüsterten sich gegenseitig die Worte zu.
Dann trat der Ober an ihren Tisch, sie mußten bestellen, und anschließend kam der Mann zu uns.
Sally und Audrey hatten sich noch nicht entscheiden können.
»Was können Sie denn empfehlen?«
Der junge Mann, es war wieder der mit den langen Haaren, strich eine Strähne zurück. »Alles.«
»Damit ist uns nicht geholfen.«
»Also, ich nehme jetzt den Lachs«, sagte Audrey.
»Gut, und ich die Scampis.«
»Noch eine Vorspeise, die Damen?«
»Nein.«
»Zu trinken?«
»Einen trockenen Weißwein, den sie offen haben.«
»Geht in Ordnung, danke sehr.« Er wandte sich an mich und schien überrascht zu sein, wie schnell ich meine Bestellung aufgab. Als Getränk bestellte ich ein Glas Rotwein.
Der Ober sammelte die Karten wieder ein und verschwand. Audrey schaute ihm nach, und ihr Blick streifte auch die Familie Davies, was einfach war, denn der Tisch zwischen ihnen und uns war nur mit zwei älteren Leuten besetzt, die zudem dicht an der Mauer saßen und sich für die Umgebung nicht interessierten.
»Den Sauerbraten habe ich auch schon probiert«, flüsterte Sally mir zu. »Er ist gut.«
»Ich kenne ihn aus dem Rheinland.«
»Da waren wir auch schon. In Köln. Eine tolle Stadt, besonders der Dom.«
Etwas veränderte sich in unserer näheren Umgebung, denn das ältere Ehepaar stand auf, um die Terrasse zu verlassen. Der Frau war es doch zu kühl geworden. Sie suchten sich einen Platz im Restaurant aus. Auch den Davies' war das aufgefallen. Sie blieben zwar sitzen, bewegten sich aber auf ihren Stühlen, schauten dabei zwangsläufig in unsere Richtung, und es waren Sid und Eartha, die mich sahen.
Ich nickte ihnen zu.
Sidney lächelte zurück.
Earthas Gesicht zeigte keine Regung. Nur ihre Augen nahmen einen abweisenden Ausdruck an.
Schnell drehte sie den Kopf wieder zur Seite. Den beiden Amerikanerinnen war nicht entgangen, daß ich die Familie begrüßt hatte.
Audrey lächelte funkelnd. »Oh, John, Sie haben schon weitere Bekannte hier?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht direkt. Ich habe die Familie heute am See kennengelernt.«
»Sie kommen auch aus den Staaten.«
»Das weiß ich nicht.«
»Doch, das müssen Sie an der Sprache gehört haben.« Auf ihrer Stirn
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