0773 - Die Macht der Templer
»Hellseherin.«
»Habe ich denn Unrecht?«
»Nein, das nicht. Es verbirgt sich tatsächlich etwas Besonderes darin.«
»Darf ich neugierig sein?«
Ich lachte. »Ja, aber die genaue Antwort kann ich dir nicht geben. Es ist ein Teil meiner Vergangenheit, die ich als anderer führte, in einem anderen Leben.«
»Oje, das ist schwer.«
»Für mich nicht.«
»Und du willst nicht darüber reden?«
»Nein, Rose. Es ist nicht so, dass ich dir nicht traue, ich möchte dich damit nur nicht belasten. Glaube mir, es ist für mich beileibe kein Spaß, sondern eine harte Bürde.«
Sie schwieg. Rose Cargill gehörte zu den Menschen, die nicht nachfragten. Sie hatte ein Gespür dafür, wenn sie an eine Grenze angelangt war. Und jetzt war es so weit.
Meine Gedanken drehten sich längst um Alet-les-Bains. Der kleine, für mich aber ungemein wichtige Ort lag nicht mehr weit entfernt. Wenn ich nach rechts schaute, konnte ich ihn bereits in einem kleinen, schüsselartigen Tal liegen sehen. Ich sah die hellen Mauern und auch die flachen Dächer. Ein Lächeln zuckte über meine Lippen.
Rose hatte verstanden und meinen Blick richtig gedeutet. »Da rechts liegt unser Ziel, nicht?«
»Ja, das ist Alet-les-Bains.« Sie hob die Augenbrauen und legte ihre Stirn in Falten. »Bist du jetzt zufrieden?«
»Ja, bin ich.«
»Sonst noch etwas?«
»Nein, Rose, lassen wir uns überraschen.« Ich ließ den Wagen fast ausrollen, als wir die Abzweigung erreichten, wo ein verwittertes Schild mit der Spitze in Richtung Alet-les-Bains wies.
Unter den Reifen knirschte es, als ich das Lenkrad nach rechts drehte. Rose bewegte sich auf dem Sitz und schaute sich um. Auf der Felswand, die aussah, als wollte sie den Ort wie eine Wand schützen, verharrte sie etwas länger.
»Hier ist ja noch weniger los als auf der Fahrt. Hat man Alet-les-Bains vergessen?«
»Nein, das nicht. Aber es gibt kaum Touristen. Die Häuser, die du dort oben an der Hügelflanke siehst, sind oft unbewohnt. Da haben sich Großstädter kleine Ausweichquartiere errichtet. Sie sind meist nur an den Wochenenden und in den Urlaubsmonaten belegt. Ansonsten geht das Leben hier seinen normalen Gang.«
»Das wiederum kann ich nicht glauben, John.«
»Weshalb nicht?«
Sie hob die Schultern. »Wenn du jetzt eine genaue Erklärung von mir verlangst, muss ich dich enttäuschen. Ich bin ja auch ein Gefühlsmensch. Das muss jeder Künstler sein, und mein Gefühl sagt mir, dass ich mich hier nicht wohl fühlen kann.«
»Klar, so etwas ist Ansichtssache.«
»Das ist auch nichts für dich.«
»Kennst du mich so genau?«
»Ich hoffe es.«
»Wir werden sehen.« Ich startete wieder. Der Wagen rollte über den schmalen Weg, der mehr einer Piste glich, weil er weder gepflastert noch asphaltiert war. Auch meine innere Situation hatte sich geändert. Bisher war ich relativ locker gewesen, obwohl mit einer leichten Spannung überdeckt.
Diese Spannung steigerte und veränderte sich zu einer gewissen Nervosität. Ich wusste nicht, was uns erwartete, das war klar, aber ich hatte einfach das Gefühl, etwas anderes zu erleben, wenn ich in Alet-les-Bains einrollte.
Wieder glitt mein Blick auf die Felswand zu. Sie stand da. Sie schien zu locken.
Für einen Moment hatte ich den Eindruck, ein gewaltiges Skelett aus Silber im schwarzen Felsschimmern zu sehen. Ich wischte mir sogar über die Augen, aber es war nichts.
Halluzination…
Von der rechten Seite her hatte mich Rose Cargill beobachtet. »Du spürst es, nicht wahr?«, fragte sie leise.
»Was sollte ich spüren?«
Sie legte ihre warme Handfläche auf meinen Oberschenkel. »Das Andere, das Schlimme, das nicht zu Erklärende, das hier lauert. Ich merke es genau, denn du hast dich innerlich verändert. Du bist nicht mehr so wie vor einer halben Stunde.«
»Da täuschst du dich.«
»John, ich irre mich nicht!«
Sie hatte ja Recht. Ich wusste selbst nicht, was plötzlich mit mir los war. Irgendwie überkam mich das Wissen, der Lösung des Falles entgegenzufahren, jedoch einer durchaus gefährlichen Lösung, die auch mit dem Tod enden konnte. Mächte aus alter Vergangenheit hatten sich hier konzentriert und schwebten unsichtbar über dem Ort.
»Wenn ich dir helfen kann, John, dann sag es.«
Ich lächelte Rose an. »Das ist sehr lieb von dir, doch ich komme schon allein zurecht. Keine Sorge, ich bin nicht zum ersten Mal hier in Alet-les-Bains, und wie du siehst, lebe ich noch immer.« Wir hatten die ersten Häuser passiert und näherten uns
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