08 - Old Surehand II
zermalmt, was in den Bereich ihrer Hände kommt. Es erwarteten uns dort vielleicht schreckliche Szenen, welche wir ihr ersparen wollten. Als sie aber hörte, daß wir ihren Sohn suchen wollten, erhielt sie ihre Tatkraft zurück. Es half weder Bitten noch Zürnen; wir durften sie nicht zurücklassen. Sie stieg auf und ritt mit.
So plötzlich, wie der Regen losgebrochen war, hellte es sich auch wieder auf. Die Wolken waren verschwunden, wie weggezaubert, und die Sonne lachte vom Himmel herab, als ob gar nichts geschehen sei.
Aber wie sah es auf dem Weg aus, den wir einzuschlagen hatten! Wohl über sechzig Meter breit war die Bahn, welche die Trombe hinter sich gezeichnet hatte. Aller Pflanzenwuchs war wie wegrasiert. Sie hatte Löcher gerissen und wieder mit Trümmern gefüllt. Und weit, weit rechts und links über die Bahn hinaus lagen die Blöcke, Steine, Sträucher und sonstigen Massen, welche sie von sich geschleudert hatte.
Und nun gar am Berge; wie sah es da aus! Bereits von weitem erblickten wir die Verwüstung. Der Strauchwuchs war aus der Erde gerissen, emporgewirbelt, in unentwirrbare Knäuel zusammengedrückt und rechts und links hinweggeschleudert worden. Die Windhose hatte sich eine weite Strecke längs des Berges hin einen Ausweg gesucht und im Grimm darüber, ihn nicht finden zu können, alles Leben in Tod verwandelt. Die nacktgelegten Felsen hatten das Aussehen tief eingehauener Steinbrüche. Die Platanen, über welche ich mich im Vorüberreiten so gefreut hatte, waren kaum mehr zu erkennen. Mannsstarke Stämme lagen, samt den Wurzeln aus dem Boden gerissen, da; Äste von der Stärke eines Kindes waren wie Taue zusammengedreht worden. Die größte der Platanen hatte alle ihre Hauptäste eingebüßt. Sie bot mit ihren tiefen und langgeschlitzten Rißwunden einen bejammernswerten Anblick. Wo aber waren – – – ah, da drüben stand ein indianisch gesatteltes Pferd, ein Rotschimmel, an einem gewaltigen, chaotisch verfilzten Gesträucherballen, an dessen Blättern es lüstern knabberte. Das war das Pferd des ‚Kleinen Hirsch‘. Wo das Tier war, mußte auch der Besitzer sein.
Wir ritten hin, und siehe da: Eine mächtige Platane war ausgerissen worden; im Umstürzen hatte sie mit den zähen, unzerreißbaren Wurzeln den ihr bisher gehörigen Grund und Boden emporgewuchtet. Unter diesem ungeheuren Wurzelballen gähnte ein breites, tiefes, höhlenartig nach innen verlaufendes Loch. Und da saßen der blonde Joseph und der junge Apache, von den Wurzeln wie von einem für den Regen undurchdringlichen Dach beschirmt. Sie lachten uns vergnügt entgegen. Die Mutter stieg in Eile hinab, den Sohn an ihr Herz zu drücken. Der Apache aber sprang herauf und fragte:
„Glauben nun meine weißen Brüder, daß ich das Anzeichen des ‚sehr hungrigen Windes‘ kenne?“
„Wir glauben es“, antwortete ich. „Wie aber habt ihr euch gerettet?“
„Der ‚Kleine Hirsch‘ hatte sein Pferd tief im Gebüsch versteckt. Er holte es und setzte sich mit dem blauäugigen Bleichgesicht darauf, um dem Winde zu entfliehen. Als dieser sich gesättigt hatte, ritt Ischarshiütuha hierher und fand, was er mit dem kleinen Bleichgesicht seit drei Tagen gesucht hatte.“
„Du bist mit Joseph heimlich zusammengekommen?“
„Ja. Er ist der Sohn des Mannes mit den Beuteln, welcher hier ermordet wurde. Komm und sieh, wo die ‚Brennende Pfeife‘ die Nuggets vergraben hatte.“
Er führte uns an die andere Seite des Wurzelballens. Dort war in der Nähe des Stammes die Erde auseinander geborsten, und wir erblickten zwei allerdings vom Moder weißgrau gewordene Ledersäckchen, welche sich bei näherer Besichtigung als mit Goldstaub und Goldkörnern gefüllt erwiesen. Joseph wußte bereits alles. Als nun seine Mutter erfuhr, was ich bereits erraten hatte, die Ermordung ihres ersten Mannes, wollte sie vor Jammer in die Knie brechen. Einen Trost bot freilich der unerwartete Besitz des wertvollen Metalles, doch war es ihr fast unmöglich, an denselben zu glauben. Auf ihre Fragen erzählte der Indianer:
„Der ‚Brüllende Stier‘ war mein Vater. Er machte sich mit der ‚Brennenden Pfeife‘, seinem Bruder, auf, um den großen Vater der Bleichgesichter (Präsident der Vereinigten Staaten) zu besuchen und ihm die Wünsche der Apachen mitzuteilen. Die beiden Häuptlinge ritten nach Osten. Sie kamen dazu, wie drei Bleichgesichter einen Weißen ermordeten, weil er Gold gefunden hatte. Zwei von den Mördern waren das ‚Böse Auge‘
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