0808 - Das unheimliche Herz
verdammten Schläge. Zweimal nur, aber so laut wie nie. In einer Reflexbewegung riss Kiki die Arme hoch und presste die Handballen gegen ihre Ohren.
Sie merkte, dass es nicht gut für sie war, auf den Beinen zu bleiben. Ohne es zu forcieren, sank sie in die Knie und rutschte mit dem Rücken an der rauen Wand entlang.
Wieder blieb sie in der alten Stellung hocken. Die Beine angezogen, so dass sie mit den Knien beinahe ihr Kinn berührte.
Kiki hielt den Mund geschlossen, dennoch drangen bestimmte Laute aus ihr hervor. Es war ein Summen, zuerst nur monoton, dann ging es über in eine alte Melodie. Ohne es eigentlich recht gewollt zu haben, summte Kiki ein Lied aus ihrer Kinderzeit, das ihr damals immer Mut gemacht hatte, wenn sie in den Wald oder allein in einen dunklen Keller hineingemusst hatte.
Heute klappte es nicht mehr.
Das Lied gab ihr keinen Mut.
Im Gegenteil, die Angst verstärkte sich noch.
Sie brach das Lied ab. Die Kinderzeit gab es nicht mehr, sie war vorbei, kein Schutz für sie. Man hatte sie entrissen und in die Welt der Erwachsenen hineingestellt, einfach so, ohne sie darauf vorzubereiten.
Sie war benutzt worden. Mädchen, die gut aussahen und aus ärmlichen Verhältnissen stammten, wurden immer benutzt, da hatte auch sie keine Ausnahme gemacht.
Benutzt und abgestellt.
Keine Kindheit mehr.
Dafür das Böse!
Etwas in ihrer Nähe keuchte. Sehr heftig und stoßend. Es dauerte Sekunden, bis ihr auffiel, dass sie es war, die den Atem so heftig ausgestoßen hatte.
Poch… poch …
Sie hörte es trotzdem. Es klang wieder anders. So aggressiv, und die junge Frau ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie hatte die Botschaft verstanden und zudem auch das Knacken gehört, mit dem sich die beiden Dielenbretter noch mehr erweiterten.
Es würde kommen…
Kiki Lafitte starrte ausschließlich auf die eine Stelle in ihrem Verlies. Nur sie war wichtig. Alles andere konnte sie vergessen. Sie war das Zentrum, aber sie wurde von ihr kaum wahrgenommen. Ob die Verschleierung am Licht lag oder an ihren eigenen Tränen, das konnte sie nicht sagen, jedenfalls hatte sie Schwierigkeiten und drückte hastig ihre gekrümmten Finger gegen die Augen.
Es klappte besser.
Wieder knackte ein Knochen. Sie fand keinen anderen Vergleich und konnte sich durchaus vorstellen, dass aus der Tiefe etwas hervordrang, eine geknickte und verkrümmte Hand, eine Klaue, zum Beispiel, die dem Druck nicht mehr gewachsen war.
Nur so musste es sein.
Eine Bohle schnellte hoch. Ein leicht singendes Geräusch entstand dabei, undsie prallte auch nicht mehr zurück. Beinahe senkrecht blieb sie stehen, fast schon wie ein Arm, dem die Hand fehlte. Eine Lücke hatte sich aufgetan, mehr ein dunkles, böses Loch, in das sie nicht hineinschauen konnte.
Poch! Ein böse klingendes Wummern, dann war er da!
Nicht schnell, genau das Gegenteil war der Fall. Es wühlte und drückte sich beinahe schwerfällig aus der Tiefe unter dem Boden, es war eine zuckende, braune, auch rötlich schimmernde Masse, sogar relativ groß und mit Poren überzogen.
Es war – Kiki wollte es kaum glauben – es war ein Herz!
***
Bob Crane schaute weiterhin auf das Wasser, als er sagte: »Ja, John, das habe ich auch. Ich muss euch einfach etwas sagen, denn ich weiß genau, dass ihr es bemerkt habt. Mir ist eure Veränderung natürlich nicht entgangen. Ihr seid misstrauisch geworden.«
»Oder willst du uns etwas gestehen?«, fragte Suko.
Er hob die Schultern. »Das ist allein eine Ansichtssache. Ich sehe es nicht so, ihr könntet allerdings bereit sein, es aus diesem Blickwinkel zu sehen.«
Wir ließen ihm Zeit. Es fiel ihm schwer. Er atmete heftig. Ich konnte mir vorstellen, dass er einmal ein sehr guter Polizist gewesen war oder es noch immer war, aber durch irgendeine Dummheit vom Weg abgekommen war und nun mit einem Fuß im Schlamm steckte.
»Im Prinzip hat es mit einem Engagement zu tun.«
»Bei der Polizei?«
»Nein, John.« Er drehte sich um, damit er uns anschauen konnte.
»Es ist ein soziales Engagement.« Crane lachte, alser unsere erstaunten Gesichter sah. »Ich sehe schon, ihr glaubt mir nicht.«
»Du wirst es uns erklären, denke ich.«
»Natürlich.« Er lächelte, doch es sah nicht fröhlich aus. »Kann ich ausholen?«
»Natürlich, wir haben ja Zeit. Man ist uns zuvorgekommen und hat das Herz gestohlen.«
Bob Crane hob die Schultern und suchte nach Worten. »Ich bin Polizist, das wisst ihr. Ich habe mich für diese Sache unheimlich engagiert, das wird
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