0809 - Das Schlangenkreuz
dass die gefährliche Schlange nicht ins Ziel beißen konnte, und ihr langer Kopf, der aus der Kreuzmitte hervorgesprungen war, biss ins Leere. Er streifte die Hand des Jungen nicht einmal, der sich dann mit einem Sprung noch weiter in Sicherheit brachte und gegen Marsha stieß. Sie hatte zwar geschrien, doch sie war nicht in der Lage sich zu rühren. Der Schreck über das Unbegreifliche hatte sie schlichtweg gelähmt.
Innerhalb weniger Sekunden brach für diese gläubige Frau eine Welt zusammen. Sie stürzte ineinander wie ein altes Haus, gegen das eine mächtige Eisenkugel geschlagen worden war. Bei Marsha zerstörte diese unsichtbare Kugel das Fundament des Glaubens. Nie hätte sie gedacht, dass die Schlange, der Teufel also, über das Kreuz hätte siegen können. Sie war immer sehr auf den christlichen Glauben, wenn auch vermischt mit einigen Relikten des Aberglaubens, fixiert gewesen, doch was sie hier erlebte, riss sie in ein seelisches Loch.
Da hatte die Schlange gewonnen!
Und diese Schlange konnte sie mit den eigenen Augen sehen. Sie stand schräg vor dem Bett, auf dem das Kreuz seinen Platz gefunden hatte. Es lag auf dem Rücken, das Oberteil war ihr zugekehrt, Marsha sah auch den Stern in der Mitte, und aus ihm war dieses Untier, eine Schlange mit dem zahnbewehrten Maul eines Krokodils, hervorgesprungen.
Das grüne Untier ringelte sich in die Höhe. Weit war das Maul aufgerissen. Marsha konnte hineinschauen und sah, dass es innen violett schimmerte.
Im krassen Gegensatz dazu standen die scharfen, weißen Zähne, die aus beiden Kiefern hervorwuchsen.
Mario Johnson hatte sich schneller gefangen als die ältere Frau. Er stand bereits an der Tür und hielt sie weit offen. »Marsha!«, schrie er, »Marsha, du musst kommen!«
Sie nickte nur, aber sie blieb stehen.
»Bitte Marsha!«
Die Schlange zischte.
Es war ein böses Geräusch, und es hätte auch direkt vom Teufel stammen können. Gleichzeitig hätte es Marsha warnen müssen, sie aber achtete nicht darauf und blieb auf der Stelle stehen.
Dann sprang die Schlange.
Sie war so schnell, dass Marsha nicht mehr ausweichen konnte.
Zusammen mit ihr schnellte auch das Kreuz hoch, und einen winzigen Moment später erwischte es die Frau.
Marsha schrie wie von Sinnen, als sie den bösen und fürchterlichen Biss spürte, der ihren Bauch erwischte. Dann hatte sie den Eindruck, in den unmittelbaren Bereich einer Kreissäge hineingeraten zu sein. Sie riss die Arme hoch, als gäbe es irgendwo in der Nähe eine Stange, an der sie sich festhalten konnte, aber da war nichts, und Marsha taumelte statt dessen nach vorn, kippte dann dem Bett entgegen und fiel mit ihrem gesamten Gewicht darauf, so dass sich die Matratze tief nach unten bog, das Bett aber noch hielt.
Die Schlange und das Kreuz waren nicht mehr zu sehen, aber sie steckten noch im Körper der Frau. Das wusste auch der Junge. Er wollte den Schrecken nicht sehen, er wusste auch nicht, wie die Kreuzschlange es geschafft hatte, auf das Schiff zu gelangen. Für ihn galt es nur, sein eigenes Leben zu retten. Marsha Blanc konnte er leider nicht mehr zurückholen.
Der Junge erlebte einen Horror wienie zuvor. Er verlor trotzdem nicht die Nerven und wuchtete hinter sich die Tür zu, während er mit zitternden Lippen immer wieder den Namen seiner älteren Freundin aussprach und er auch daran dachte, dass es seine Schuld gewesen war, dass sie nun starb, denn er hatte sie auf das Schiff gelockt.
Das alles hatte er natürlich nicht wissen können. Trotzdempeinigte ihn der Gedanke. Er dachte auch daran, wie gut Marsha nicht nur zu ihm gewesen war, und sie hatte nun ein Ende erleben müssen, für das er keine Erklärung hatte. Dieses Grauen wollte nicht in seinen Kopf. Die Tatsachen drohten, die Gedankenwelt des Kindes zu sprengen. Er war mit seinen dreizehn Jahren noch ein Kind, auch wenn er sich auf bestimmten Gebieten schon weiter entwickelt hatte als andere in seinem Alter.
Das alles hatte er nicht wissen können. Er hatte es nur gut gemeint, als die beiden Männer nach Marsha fragten. Vielleicht wäre sie in ihrem Haus sicherer gewesen, doch die anderen hatten genau gewusst, wie sie an ihr Opfer herankommen konnten. Sie mussten es unter Kontrolle gehalten haben, und sie hatten ja auch das Kreuz mit der Schlange im Boot versteckt.
Mario atmete keuchend. Nicht weil er sich durch körperliche Anstrengungen erschöpft gefühlt hätte, es war einfach das Erlebnis gewesen, das ihn so fertig machte.
Als er mit langen
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