0822 - Nomaden der Hölle
junge Königin stürmte in die Halle hinein, denn ein Blick hatte ausgereicht, um zu wissen, wer dort lag…
***
Tan Morano stürzte.
Die Beben nahmen an Intensität und Häufigkeit zu, doch das registrierte der Vampir so nicht. Mühsam rappelte er sich wieder auf, setzte seinen Weg fort.
Weg? Er hatte keine Ahnung, warum er sich ausgerechnet in diese Richtung bewegte. Irgendetwas sagte ihm, dass er schon bald den Ausweg aus diesem Labyrinth finden würde.
Irgendetwas…
Er sah sich um. Dieser Gang sah aus wie der vorherige, und der nächste würde ebenso sein. Dennoch wählte er zielsicher die Möglichkeit, nach rechts einzubiegen, als er auf einen Querlauf stieß. Einfach so, ohne darüber nachdenken zu müssen. Es war, als läge diese Entscheidung tief in ihm, eingepflanzt von einem Willen, der ihn lenkte. Ein fremder Wille, der sich seiner immer mehr bemächtigte. Wessen Wille?
Morano verharrte auf der Stelle. Er musste doch nur seiner rechten Hand befehlen, sie fallen zu lassen. Doch er konnte es nicht tun. Tan Morano, der mächtige Vampir, der immer um die eigene Unabhängigkeit bemüht gewesen war… er war nicht fähig, seinem Körper einen so simplen Befehl zu erteilen. Kein Zamorra, kein Sarkana, nicht einmal sein Erzfeind, Vampirjäger Gryf ap Llandrysgryf, hatten ihn je in eine hilflosere Situation bringen können. Würde einer von ihnen jetzt hier auftauchen, so hätte er leichtes Spiel mit Morano gehabt. Doch so musste er nur gegen sich selbst kämpfen - und er würde diesen härtesten Kampf verlieren!
Die Dunkle Krone , an der noch das Blut des wahnsinnigen Assunta klebte, wog tonnenschwer in seiner Hand.
Hinter Morano brach die Decke des Ganges ein. Der Vampir machte einen wilden Satz nach vorne, der ihn vor den einstürzenden Massen rettete. So mächtig dieser fremde Wille auch war, der ihn bedrängte, so konnte er ihn anscheinend doch nicht vor dem bewahren, was hier ablief.
Die Hölle bewies wieder einmal ihre unberechenbare Eigendynamik. Selbst das Bauwerk, das einer der mächtigsten Dämonen errichtet hatte, konnte diesem Prozess nicht widerstehen. Für Morano war dies der letzte Beweis, den er noch gebraucht hatte -Sarkana existierte tatsächlich nicht mehr. War das nicht der Grund gewesen, der ihn überhaupt erst hierher geführt hatte?
Er musste doch jetzt nur die Krone…
Tan Morano schwang den rechten Arm weit nach hinten, ließ ihn wieder vorschnellen und schleuderte die hölzerne Krone mit Wucht gegen die Wand. Ein Triumphschrei brach aus ihm heraus, als der spitz zulaufende Kopfschmuck wie ein Speer in der von Farnen und anderen Gewächsen überwucherten Wand stecken blieb.
Er hatte es geschafft! Noch einmal hatte er den Rest seines freien Willens komprimiert und schnell gehandelt. Jetzt weg von hier… Für einen Moment dachte Morano darüber nach, die Krone mit seiner Magie auf ewig an der Stelle zu bannen, die sie nun innehatte. Doch ihm wurde sofort klar, dass er das nicht schaffen konnte. Sarkanas Restmagie lag wie ein feiner Nebel an diesem Ort; dazu kam die Macht, mit der sich die Krone zur Wehr setzen würde. Morano fehlte jetzt die Kraft, dagegen anzukommen.
Ein hässliches Knirschen ertönte, das schnell lauter und bedrohlicher wurde. Die Krone wehrt sich! Jetzt war die Entscheidung für Tan gefallen. Er musste so schnell wie möglich viel Raum zwischen sich und die Insignie bringen. Ohne sich umzudrehen, spurtete er los.
Weit kam er jedoch nicht. Der Boden unter seinen Füßen brach auf! Morano strauchelte gegen einen Felsen, der vor einer Sekunde noch nicht da gewesen war. Verzweifelt klammerte er sich daran fest, denn die Welt um ihn herum wollte ihr Innerstes nach außen kehren. Rund um die feststeckende Krone bildeten sich breite Risse, die sich rasend schnell vom Boden zur Decke zogen.
Plötzlich brach die Wand weg, als bestünde sie aus einer dünnen Eierschale. Und wie die geborstene Schale beim Ei, so gab auch sie den Weg nach draußen frei!
So nah war Morano also bereits dem Ausweg aus Sarkanas Refugium gewesen - getrennt durch nur noch eine Wand! Geblendet schloss der Vampir die Augen. Die plötzliche Helligkeit verursachte ihm Schmerzen. Als er endlich einen Blick wagen konnte, hatte sich auch der letzte Rest von Staub und Dreck gelegt, den die wegbrechende Wand aufgewirbelt hatte.
Tan Morano sah auf eine sanfte Hügellandschaft, die ausschließlich aus kahlem Felsgestein zu bestehen schien. Und sie erstrahlte in gleißendem Gold.
Langsam setzten
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