0860 - Dämonische Zwillinge
worden, es mußte handeln, es gab keinen anderen Weg.
Zumindest hatte ich nie etwas anderes erlebt.
Das Licht explodierte.
Ich hatte es erwartet und erhofft. Plötzlich umgab mich eine gleißende Helligkeit, die alles erfaßte, was sich in unmittelbarer Nähe des Kreuzes befand. Er war nicht mehr zu sehen, das Licht blendete, heller als eine Sonne, aber es schmerzte nicht in den Augen. Ich kannte dieses Phänomen. Das weiße Licht schien sich bewußt einem Menschen gegenüber zurückzuhalten, um ihn nicht zu verletzen.
Aber wie würde es sich bei einem dämonischen Engel verhalten?
Von der normalen Umgebung sah ich nichts mehr. Suko, der Abbé draußen, die anderen Reisenden in seiner Nähe, all das war verschwunden, einfach aufgelöst.
Nur einer stand im Zentrum.
Josephiel!
Er war zu sehen. Er war die Gestalt. Hochaufgerichtet und in einer Haltung, als wollte er sich noch einmal recken und sich dabei auf die Zehenspitzen stellen.
Aber war er das noch?
Die Hörner gab es nicht mehr. Sie waren zusammengeschmolzen und mußten als heiße Masse in seinen Schädel hineingebrochen sein. Sein Gesicht zuckte. Es hatte einmal faszinierend ausgesehen, davon war nichts mehr zu erkennen, denn jetzt wirkte es verbeult und stand dicht davor, einzufallen.
Es war weich geworden und klumpig. Die Augen gab es ebenfalls nicht mehr, sie waren aus den Höhlen gestoßen worden und hingen nach vorn. An langen, dünnen Bändern schaukelten sie leicht hin und her. Der Mund hatte sich verzogen, die Lippen standen offen, und der Mund selbst bildete ein schiefes Loch.
Auch hatte sich ein anderes Bild über das Gesicht geschoben. Mehr ein Schatten, der sich aus mehreren Schichten zusammensetzte, die wiederum verschiedene Gesichter bildeten. Grau und glasig sahen sie aus, und jedes Gesicht hatte eine andere Form.
Tierische Fratzen, monströs auf der einen und zusammengezogen auf der anderen Seite. Verzerrt und grell, dabei grauenhaft und kaum zu beschreiben.
Ich hatte den Eindruck, eine Kreatur der Finsternis bei ihrer Entstehung zu erleben, wie sie sich aus verschiedenen Stufen zusammensetzte, um zu einem Ganzen zu werden.
Hier nicht.
Die Schatten zerrissen.
Der Engel blieb zurück.
Er breitete die Arme aus, den halb zerstörten Kopf drückte er zurück in den Nacken. Die Augen schnellten wieder hoch, die flutschten zurück in die Höhlen, und mit diesem starren Blick starrte er gegen die Decke oder auch ins Leere.
Es war nicht leer.
Wie ich schon erwähnte, ich war mir vorgekommen, wie in einer weiten Landschaft. Hier war die Enge verschwunden, die Dimensionen hatten sich zusammengeschoben und gleichzeitig geweitet.
Alles war anders geworden. Nichts war mehr wie sonst, und wir schwebten im Nirgendwo.
Trotzdem wurden Grenzen aufgezeigt.
Vier Gestalten standen dort.
Engel!
»Meine Engel«! Die Engel, die auf meinem Kreuz ihre Zeichen hinterlassen hatten, bildeten die Eckpfeiler dieses neu erschaffenen Raumes innerhalb des Dimensionsgefüges.
Und Josephiel bildete den Mittelpunkt.
Er stand dort, ohne sich zu rühren, aber er wußte, daß er keine Chance mehr hatte. Etwas glitt auf ihn zu. Es war ein breiter Schatten. Ich sah ihn in der Länge, ich sah ihn aber auch in der Breite, und diese Schatten bewegten sich über den Boden, falls es einen solchen überhaupt noch gab. Er suchte ein Ziel und fand es.
Gleichzeitig entstand ein zweiter Schatten, der sich in die Breite hin ausdehnte.
Länge und Breite paßten zusammen. Sie bildeten einen bestimmten Gegenstand, eine Projektion dessen, was ich in meiner Hand hielt. Auf dem Boden zeichnete sich ein Kreuz ab.
Ein großes Kreuz!
Und genau in der Mitte stand Josephiel. Er hielt sich dort auf, wo sich die beiden Balken trafen. Er tat nichts. Er versuchte auch nicht, sich zu wehren, aber der Schatten des Kreuzes war stärker als er, und er wurde von vier Erzengeln bewacht, die dafür sorgten, daß Josephiel seine Existenz verlor.
Er schrumpfte zusammen…
Es war das Kreuz, das ihn holte. Der Schatten zerrte ihn in sich hinein. Er sorgte dafür, daß die Gestalt ihre normale Größe verlor. Sie schrumpfte immer mehr zusammen, sie tauchte ein in das Schattenkreuz und war dabei selbst zu einem Schatten geworden.
Ich hörte ihn nicht schreien. Es gelang ihm auch nicht mehr, seine übermenschlichen Kräfte einzusetzen. Er war nicht in der Lage, etwas zu sagen. Immer mehr schrumpfte er zusammen, er wurde kleiner und kleiner, und der Schatten des Kreuzes fraß ihn
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