0873 - Gabentisch des Grauens
durch die Räume liefen, sondern relativ normal gekleidet waren, wenn auch mit religiösen Aufdrucken an T-Shirts und Jacken.
Julie trug ein violettes Kleid oder Gewand aus fließendem Samt. An den Seiten allerdings war es sehr hoch geschlitzt, bis hin zu den Schenkeln, deren helle Haut von keinem Nylon bedeckt war.
Das Kleid zeigte gleichzeitig einen tiefen Ausschnitt, der Teile der Schultern freiließ. Nur an den jeweiligen Enden wurden sie durch den Stoff bedeckt. Als Schmuck trug die Schülerin, die schon zwanzig war, einen Rosenkranz um den Hals. Sie war älter als Marty und hatte einen sehr fraulichen Körper.
»Ach, Julie, auch hier?«
»Wie du siehst.«
»Zum erstenmal, wie?«
»Hier im Limelight schon.«
»Warst du woanders?«
»Klar.«
»Und wo?«
Sie hob die Schultern. »Eigentlich bin ich so durch die Szene gepilgert. Habe mal hier und mal da einen Blick hineingeworfen.«
»Und bist hier hängengeblieben.«
»Das weiß ich noch nicht.«
Er fragte: »Wie gefällt es dir denn?«
»Das ist schwer zu sagen.« Julie fuhr durch ihr dunkles Haar und spielte mit den Perlen des Rosenkranzes, den sie um ihren Hals gehängt hatte. »Ich war noch nicht drin, weißt du?« Ihre violett geschminkten Lippen - sie stachen von dem ziemlich bleichen Gesicht ab - verzogen sich zu einem breiten Lächeln. »Die Musik ist wie überall.«
»Orgelklänge. Zumindest hier im Vorraum. Später werden dann die CD's mit den Chorälen aufgelegt.« Er grinste. »Ich muß dir ehrlich sagen, daß du stark aussiehst. Wie eine Nightlife-Nonne.«
»So sollte es auch sein.«
Beide gehörten zu den ersten Gästen. Sie befanden sich noch im Vorraum, wo es auch eine kleine Garderobe gab und einige durch Vorhänge verdeckte Kabinen, denn manche Gäste schlüpften erst hier in ihr neues Outfit. Wände im eigentlichen Sinn gab es nicht. Zumindest waren sie nicht zu sehen, denn die dunklen und zur Decke hin geschwungenen Vorhänge verdeckten sie und ließen nur Platz für die zahlreichen Spiegel, in denen sich der Besucher betrachten konnten.
Es war keine Hektik zu spüren. Alles lief normal ab. Die Gäste kannten sich, sie kamen, sie begrüßten sich formell, aber nicht laut. Mal nur ein Kopfnicken, dann ein geflüstertes Wort, so daß ein Außenstehender den Eindruck haben konnte, daß man schon im Vorraum der Disco in Andacht verfiel.
Martys Kleidung fiel nicht auf. Er hatte sich für dunkle Töne entschieden. Auf dem T-Shirt war allerdings ein Kreuz abgedruckt. Es sah ziemlich klobig aus. Die breiten Balken waren auch nötig, um das Signet eines italienischen Modeschöpfers aufnehmen zu können.
»Du bist aber hier nicht neu, oder?«
»Stimmt.«
Julie hakte sich bei Marty ein. »Dann kannst du mich ja mal einführen in die Szene.«
»Weiß ich nicht…«
»Wieso nicht?«
»Na ja, so eine direkte Szene gibt es hier nicht, das muß ich dir ehrlich sagen. Jeder kann kommen und tun und lassen, was er will. Das ist eben das Gute. Man kennt sich, man trinkt zusammen, man meditiert, man verschwindet mal in den Beichtstühlen, die ebenfalls aufgestellt sind, na ja, es wird eben nie sehr laut.«
»Paßt mir gut.«
Es paßte Marty zwar nicht, aber er wußte, daß er diese Person zunächst einmal nicht loswerden konnte. Deshalb ergab er sich in sein Schicksal. »Dann laß uns mal schauen, sonst sind die besten Plätze noch besetzt.«
»Hast du einen Stammsitz?«
»Nein.«
Es gab eine Tür, sie war einem Kirchenportal nachgeahmt. Zur einen Hälfte stand sie offen.
Dahinter konnte ein Vorhang zugezogen werden, was allerdings nicht der Fall war. Auch ihn hatte man zur Seite geschoben, und dem Eintretenden öffnete sich die Disco.
Nein, eine Disco im eigentlichen Sinn war es nicht. Man ging durch die Tür und befand sich in einer besonderen Kirche. Steinboden, Bänke, die sich mit geschnitzten Stühlen abwechselten. Tische wie Altäre, einige Beichtstühle, die an den Wänden standen, und eine große Theke, hinter der »Meßdiener« und »Nonne« bedienten. Eine Tanzfläche war ebenfalls vorhanden, und wer Hunger hatte, konnte sich hinter eine spanische Wand setzen und dort in der Mikrowelle aufgewärmtes Fast Food in sich hineinstopfen. Die Gerichte waren mit speziellen Namen versehen worden, und das Ganze lief unter der blasphemischen Headline »Kirchen-Gastronomie«. Man trank Biere aus Klöstern, besonders die Starkbiere aus Bayern waren sehr beliebt, aber auch Liköre und Weine fanden einen guten Absatz. Harte Getränke
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