0893 - Der Atem des Bösen
Adern zum Gerinnen brachte.
War da nicht dieser mysteriöse Auftrag gewesen? Diese… Leichen aus dem Tate Britain?
Aber wieso war er nicht mehr in der Pathologie? Wo befand er sich überhaupt?
»Stopp!«, keuchte er und versuchte, die zerlumpte Gestalt von sich zu schieben. Sie roch nach Urin, nach Sperma und… Er verweigerte sich jedem weiteren Gedanken an das, was er noch aufzuschnappen meinte.
Überraschenderweise ließ der aggressive Druck des unsichtbar in der Dunkelheit aufragenden klobigen Kerls tatsächlich etwas nach - aber wohl nur als Ausdruck seines kurzzeitigen Erstaunens. Drei Sekunden später wurde er umso rabiater. Ein Faustschlag schrammte Turners linke Wange. Raue Knöchel rissen ihm die Haut auf. Sein Glück war lediglich, dass der Koloss ebenso wenig in der Lage zu sein schien wie er selbst, im Dunkeln zu sehen.
»Stopp!«, wiederholte Turner verzweifelt. »Ich wollte Sie nicht -«
Der nächste Faustschlag saß. Genau in der Magengrube. Turner hatte das Gefühl, alles, was er in den vergangenen zwei Tagen zu sich genommen hatte, auf einmal nach oben getrieben zu bekommen. Auf halbem Weg die Speiseröhre hinauf sackte es jedoch wieder ab. Ein Wimmern löste sich aus seiner Kehle. Tränen standen ihm in den Augen. Das letzte Mal, dass er eine Auseinandersetzung nicht mit Worten, sondern mit »handfesten« Argumenten ausgetragen hatte, lag eine Ewigkeit zurück. In seiner Studentenzeit, abends, als alle viel zu viel getrunken und dann einen Streit vom Zaun gebrochen hatten - er mittendrin.
Er hatte nicht erwartet, diese Erfahrung jemals wiederholen zu müssen. Und schon gar nicht mit einem Schrank von Mann als Gegner, der seinem brutalen Auftreten nach zu schließen, keinerlei Skrupel hatte, ihn krankenhausreif oder gar zum Krüppel zu schlagen.
»Wollteste nich', wie?« Der Slang, den der Schläger benutzte, war kaum zu verstehen. Turners Ansprache wäre dagegen als feinstes Oxford-Englisch durchgegangen - aber vielleicht störte den Primaten ja gerade das.
»N-nein!«, versicherte Turner stotternd.
»Hättste dir abba früher überlegen müssen. Dein Kollege is' nich' mehr widder'kommen, nachdem ich ihm die Meinung geigte! Schlaues Bürschchen… odda isser schon krepiert?«
Turner hatte keine Vorstellung davon, welcher Kollege ähnlich lebensmüde wie er gewesen sein sollte, diesen unerträglichen Bastard zu besuchen… oder wohl eher zu stören. Aber die wenigen Worte des Kolosses und seine abschließende Frage malten ihm ein klares Bild vor Augen, was er mit ihm angestellt hatte. Vielleicht war der unbekannte Leidensgenosse wirklich an den Schlägen, die ihm zugefügt wurden, gestorben, an den brutalen Schlägen und… Tritten!
Turner fand sich auf dem Boden wieder. Einem feuchtkalten Steinboden, von dem Modergeruch aufstieg.
Er wusste weniger denn je, wo er war. Und wie er hierher hatte kommen können.
»Hur'nsohn!«, grunzte der feiste Kerl, und sein harter Schuh fand immer wieder Turners Nierengegend, ganz gleich, wie sehr er sich auch wand und krümmte; fast war es, als hätte das Leder Augen.
Der Gerichtsmediziner hustete und spuckte, Kupfergeschmack füllte seinen Mund, und er wusste, dass es Blut war, das zwischen seinen Lippen hervorquoll, Blut aus den Tiefen seiner Eingeweiden, die sich uralt und rissig anfühlten. Überall war Schmerz und eine furchtbare Übelkeit. Er schloss die weit aufgerissenen Augen, und fast war ihm, als würde die Finsternis dadurch heller. Er atmete schwer, bekam kaum noch Sauerstoff.
Wehr dich, oder du bist tot!, dachte er, als ihm klar wurde, dass der Koloss auf ihm kauerte, sich einfach auf ihn hatte fallen lassen.
In einer Sekunde, die seltsam schmerzfrei blieb und eine viel größere Pause vorgaukelte, sah Turner sich selbst auf einem seiner Obduziertische liegen, während ein Kollege daranging, ihn aufzuschneiden.
Kollege.
Das Wort erinnerte ihn quälend an das, was der Totschläger ihm an den Kopf geworfen hatte.
KÄMPFE! WEHR DICH!
Er war kein Kämpfer - aber das vergaß er jetzt bewusst. Irgendwie bekam er ein Knäuel in der Gegend zu fassen, in der jeder Mann empfindlich war. Ohne nachzudenken, drehte und zerrte er daran, und mit einem Mal schrie sein Peiniger schmerzerfüllt auf. Obwohl er an Turners Arm zerrte, um sich aus dessen Klammergriff zu befreien, ließ dieser nicht los. Am Ende blieb ihm nur, von seinem Opfer herunterzurutschen.
Turner nutzte die wenigen Momente, die ihm blieben, um sich wegzurollen. Aber er wusste,
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