0906 - Ein Monster aus der Märchenwelt
bemerkt. Sie wachte erst wieder in ihrem Zimmer auf. Es ist unser Geheimnis geblieben. Ich habe sie danach nie mehr kontaktiert, denn ich hatte ja, was ich wollte. Vier lebende Puppen.«
»Ihr Ebenbild lebte aber nicht.«
»Leider nein, das hätte ich gern gehabt, doch ich habe es nicht geschafft.«
»Dann war da noch die Puppe auf der Müllkippe«, sagte ich. »Sie lief mir ja über den Weg.«
»Ein Fehler«, sagte die Frau.
»Wieso?«
Diana Perl hob die Schultern. »Sie ist uns entwischt. Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte. Einer von uns muß unvorsichtig gewesen sein, jedenfalls hat sie dieses Haus verlassen. So ist es dann zu einer Entdeckung gekommen. Es war leider nicht zu verhindern, und Sie haben unsere Spur gefunden.«
Damit war ich noch nicht zufrieden. »Kommen wir noch einmal zurück auf diesen Puppendoktor. Wenn ich Sie recht verstanden habe, verfügt er über magische Kräfte. Er ist in der Lage gewesen, aus normalen Schaufensterpuppen Wesen zu machen, die sich bewegten. Die laufen konnten, die aber nicht denken konnten, nehme ich an.«
»So ist es.«
»Haben Sie herausgefunden, wie dieser Doc Doll das schaffte?«
»Nein, er konnte es. Er stammte aus dem Märchen, aus einer Welt der Märchen und…«
Ich unterbrach sie. »Ist Ihnen der Name Aibon schon einmal untergekommen?«
Sie überlegte erst gar nicht. »Nein, noch nie. Warum?«
Ich winkte ab. »Ach, es war nur eine Frage. Hätte ja sein können. Vergessen Sie es.«
Diana Perl senkte den Kopf. »Ich muß alles vergessen«, flüsterte sie, »einfach alles.«
»Warum?«
»Auch mich selbst?« Sie ging auf die Frage nicht ein. »Ich bin eine Verräterin. Ich habe geplaudert, obwohl ich dem Puppendoktor versprach, es nicht zu tun.«
»Und jetzt?«
Sie starrte mich an, so daß es mir heiß und kalt den Rücken hinablief.
»Mein Leben ist verwirkt, Sinclair«, drang es wie ein Hauch über ihre Lippen.
Ich runzelte die Stirn und lächelte dabei. »In Ihrem Alter? Das glauben Sie doch selbst nicht.«
»Doch, ich habe versagt.«
»Erklären Sie mir den Grund?«
»Ich habe geredet. Ich habe den Puppendoktor verraten. Ich habe es zugelassen, daß seine Werke zerstört wurden, und aus diesem Grund bin ich eine Verräterin.«
Der Sinneswandel kam mir ein wenig zu plötzlich. Auf der einen Seite hatte sie uns das harte Weib vorgespielt, das so leicht nichts aus der Fassung bringen konnte, auf der anderen ging sie jetzt in sich, als würde sie depressiv werden. Das begriff ich nicht. »Denken Sie daran, daß wir einen Deal abgesprochen haben, Diana.«
Sie rutschte von ihrem Stuhl. »Was hat das denn damit zu tun? Gar nichts. Ich muß meinen Kopf hinhalten. Es ist mir versprochen worden, ob Sie es glauben oder nicht. Ich kann einfach nicht anders denken und auch nicht anders handeln.«
Mit müden Schritten ging sie dorthin, wo einige Flaschen auf einem Tisch standen. Brandy, Cognac, auch Gin und Martini. Gläser sah ich auch dort, und die Frau nahm eines in die Hand. Sie putzte Staub von seiner Außenseite weg, ließ ihren Blick über die Köpfe der Flaschen hinwegschweifen, als könnte sie sich nicht entscheiden, welche sie öffnen sollte. Schließlich griff sie zu einer Martini-Flasche.
Ich drehte mich zu Suko um. »Hast du alles gehört?« fragte ich ihn leise.
Er wollte nicken, überlegte es sich im letzten Moment anders und hob die Hand.
»Wir brauchen den Namen des Mädchens.«
Suko gab mir keine Antwort. Er schaute an mir vorbei mit einem sehr starren Blick. Hinter meinem Rücken schien er irgend etwas entdeckt zu haben, was mir natürlich unbekannt war.
Ich wollte mich ebenfalls umdrehen, als Suko seine rechte Hand bewegte und blitzartig die Beretta zog, die ich ihm noch im Lagerraum zurückgegeben hatte. Er zielte nicht auf mich, sondern an mir vorbei, und seine Stimme hatte einen scharfen, beißenden Klang. »Bewegen Sie sich nicht, Miß Perl! Keine Bewegung!«
Ich fuhr herum - und sah, was Suko meinte.
Diana Perl stand ebenso steif da wie eine ihrer Puppen. Die eine Hand hielt das Glas, die andere war zur Faust verkrallt.
»Geh hin, John!«
»Warum?«
»Frag nicht, geh! Sie hat etwas in der Faust, und sie hat es heimlich genommen!«
Ich brauchte keine weiteren Fragen mehr zu stellen. In diesen Dingen konnte ich mich auf Suko verlassen. Dianas Gesicht verzog sich, als würde sie einen plötzlichen und beißenden Schmerz spüren. Auf den Zügen zeichnete sich ihr innerer Kampf ab. Ich glaubte nicht, daß sie so
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