093 - Das Hotel der lebenden Leichen
der Rampe einzubringen pflegte.
Er flirtete schamlos.
Lorna beobachtete die Geschichte schon eine ganze Weile. Längst hatte sie ihren Teller zurückgeschoben. Ihre kleinen Hände ballten sich auf dem Schoß zu Fäusten.
»Henry, hast du eigentlich gar kein Gefühl für die Unverfrorenheit deines Benehmens«, zischte sie plötzlich.
»Unverfrorenheit? Wegen des Mädchens dort?« fragte Henry harmlos.
»Natürlich.«
»Aber Lorna, sei doch nicht so spießig. Das hat doch nichts zu sagen. Ich bin halt ein Künstler, Schauspieler. Da hat man eben so kleine Schwächen.«
»Daß er Schwächen hat kann man wohl behaupten«, mischte sich Frank jetzt ein. »Mit dem Kerl hast du dich schwer in die Tinte gesetzt. Das ist sogar der Presse bekannt.«
»Wie meinst du das, Frank?« wandte Lorna sich mit steinernem Gesicht an den Freund.
»Nun, Henry soll sogar ein Verhältnis mit einer Putzfrau haben, und noch allerhand andere dazu.«
Lornas Augen hingen erschrocken an Frank. Wie von einer Tarantel gestochen, drehte sie sich auf ihrem Stuhl um und starrte Henry an.
Henry Danforth lachte. Er schüttelte sich vor Lachen, suchte nach seinem Zigarettenetui, zündete sich eine Zigarette an, zog ein paarmal daran, um sich zu beruhigen, verschluckte sich aber, prustete, schnaufte und lachte von neuem los.
»Was gibt es da zu lachen?« fragte Lorna unsicher. Sie fand die Angelegenheit nicht so komisch.
»Frank.« Sie sah den Freund aus verengten Augen an.
»Es tut mir leid, Lorna«, beantwortete Frank Connors den unausgesprochenen Vorwurf. »Aber, du kannst doch sonst einen Spaß vertragen.«
»Ach, macht doch, was ihr wollt«, brach es aus Lorna heraus. »Verdreht meinetwegen alle beide der blöden Gans den Kopf.«
Sie erhob sich, stieß den Sessel zurück und rannte quer durch den Speisesaal hinaus.
Frank und Henry blickten der davonstürmenden Lorna verdutzt. nach.
»Was hat sie bloß?« brummte Frank.
»Ach, du weißt doch, Frank, wie Frauen manchmal sind«, sagte Henry in dem vertraulichen Ton, dessen sich Freunde bedienen, wenn sie über Frauen reden. »Ich werde sie gleich wieder in unsere Mitte zurückholen«, grinste er, erhob sich und verließ mit langen Schritten den Speisesaal.
Frank schob sich eine Zigarette in den Mund, zündete sie an und zog ein paarmal daran.
Was mag nur mit Lorna sein, überlegte er. Wahrscheinlich steckt ihr noch immer die Erscheinung bei der Seance in den Knochen, dachte Frank. Kein Wunder, obwohl er sich den Freunden gegenüber nichts anmerken ließ, war Frank davon überzeugt, daß Henry und Lorna eine tödliche Gefahr drohte.
»Aber, woher?«
Frank blickte sich um. Hier in diesem, mehr gemütlichen als exklusiven Hotel doch wohl kaum. Trotzdem würde er die Augen offen halten.
»Kann ich abräumen, Sir?« Ein großer, athletisch gebauter Kellner schaute Frank mit seltsam, starren Augen an.
»Ja, bitte.« Frank Connors Augen fuhren über das bleiche Gesicht des Mannes und blieben an der verfärbten, verschwollenen Wunde an seiner Schläfe hängen.
»Haben Sie sich verletzt?« erkundigte Frank sich.
»Das da?« fragte der Befrackte und berührte die Stelle mit der Hand. »Nichts von Belang. Habe mich ein bißchen gestoßen unten im Keller. Bin mit der Schläfe genau gegen einen eisernen Träger gestoßen. Ist mir schon öfter passiert, Sir. Ich bin an einem Ende zu lang.«
Der Kellner versuchte mit einem leisen Lachen, das seltsam hohl klang, die Sache ins Scherzhafte zu ziehen.
Während er mit geübten Griffen das Geschirr abräumte, wurde er von Frank Connors scharf beobachtet. Irgend etwas stimmte mit dem Kerl nicht, aber was?
»Kann ich Ihnen noch etwas zu trinken bringen, Sir?« Das bleiche Gesicht des Kellners war zu einem Lächeln verzogen, aber es war ein Lächeln, das durch seine starren Augen zu einer abstoßenden Grimasse wurde.
»Bringen Sie einen Whisky, nein, bringen Sie zwei.« Frank hatte Henry in der Tür des Speisesaals auftauchen sehen.
Henry Danforth kam allein.
»Lorna hat sich ein wenig hingelegt«, erklärte er.
»Ist sie noch sauer auf uns?« erkundigte Frank sich.
»Ach, das hat weiter nichts zu sagen«, wehrte Henry ab. »Sie ist eigentlich schon den ganzen Tag in gedrückter Stimmung, und sie hat Kopfschmerzen. Weißt du, die verflixte Geschichte im Geisterclub.«
»Ja, das denke ich auch. Aber ihr wolltet doch ...« Statt weiterzusprechen, zog Frank mit einem unterdrückten Seufzer den Rauch seiner Zigarette in die Lungen.
Der Kellner
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