093 - Das Hotel der lebenden Leichen
sie was für die Bühne wäre. Sie hat ohne Zweifel das gewisse Etwas.«
Mit einem plötzlichen Entschluß sprang Frank von seinem Hocker. Er klopfte Henry auf die Schulter und murmelte. »Ich schau’ mal nach Lorna, wenn du nichts dagegen hast.«
»Ja, ist gut«, lächelte der Schauspieler. »Versuch sie mit runterzubringen.« Schon wurde Henrys Aufmerksamkeit wieder von Ronald Crane in Anspruch genommen.
Frank schritt mit zusammengebissenen Lippen durch die Bar in die Halle.
Als er über die Treppe zur oberen Etage emporstieg, funkte sein sechster Sinn Gefahr...
***
»Das können ja heitere Ferien werden«, murmelte Lorna Danforth. Seufzend klappte sie das Buch zu, und legte es weg. Sie hatte versucht etwas zu lesen, aber ihre Gedanken waren immer wieder abgeirrt.
Ein quälendes Gefühl der Unruhe erfüllte sie.
Das Geräusch des gegen die Fensterscheiben peitschenden und prasselnden Regens, wurde von Zeit zu Zeit von grollenden Donnerschlägen übertönt. Lorna saß in einem der beiden Sessel, die in der Ecke des Wohnraumes neben dem kleinen runden Tischchen standen. Die auf dem Tisch stehende Lampe erhellte nur zu einem bescheidenen Teil den Raum; Warum bin ich mit den zwei Männern gekommen und muß jetzt allein hier herumsitzen, dachte Lorna wütend. Dabei mußte sie sich insgeheim eingestehen, daß es ihre eigene Schuld war.
Wieder ließ ein Donnerschlag das Haus erbeben.
Feurig jagte ein Blitz quer über den Himmel und beleuchtete alles im Zimmer taghell. Mit einem Mal herrschte Totenstille.
Überlaut hörte Lorna das Klopfen ihres eigenen Herzens. Sowie sie sich bewegte, knarrte und stöhnte der Sessel, auf dem sie saß. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Dort, in der anderen Ecke des Raumes, glaubte sie ein bleiches Gesicht zu sehen.
Lorna griff sich an die hämmernden Schläfen und stieß einen unterdrückten Schrei aus.
Auch das Gesicht hatte plötzlich zwei Hände an der Stirn.
Erleichtert erkannte sie nun, daß sie sich geirrt hatte. Es war nur ihr eigenes Gesicht, das sich auf der Scheibe des Fernsehapparats spiegelte.
»Ich werde noch hysterisch«, murmelte Lorna.
Als sie jetzt das leise Scharren an der Tür hörte, glaubte sie, sich wieder geirrt zu haben, und schrieb es ihren überreizten Nerven zu.
Mechanisch griff sie wieder zu ihrem Buch. Da hörte sie das Kratzen deutlicher. Es hörte sich so an, als suche jemand mit dem Schlüssel das Schlüsselloch.
Lorna starrte wie gebannt auf den Türgriff. Er bewegte sich kaum merklich. Sie wollte schreien, aber sie bekam keinen Laut aus ihrer Kehle. Wie gelähmt hing ihr ausgestreckter Arm in der Luft. Er hatte nicht mehr die Kraft, das Buch zu berühren.
Grauenhaftes Entsetzen brach über Lorna Danforth herein.
Millimeter um Millimeter schob sich die Tür nach innen auf.
Lorna sah eine knochige, zur Kralle geformte Hand. Das war die gleiche Klaue, die gestern schon nach ihr gegriffen hatte, gellte es durch ihr Bewußtsein. Lorna wollte aufspringen, aber sie hatte ihre Glieder nicht mehr unter Kontrolle und fiel dumpf auf den mit dicken Teppichen belegten Boden.
Die knochige Hand faßte sie an die Brust und rollte sie auf den Rücken. Lorna Danforths vor irrsinniger Angst weit aufgerissene Augen sahen in das Gesicht eines Mannes, der ganz in schwarz gekleidet war und sich über sie beugte.
Die unheimlichen Augen, die unnatürlich tief in ihren Höhlen lagen, die Lippen schmal wie ein Strich, die eingefallenen Wangen und die bleiche Gesichtshaut, die fast phosphoreszierend schimmerte, gaben ihm ein schreckliches, diabolisches Aussehen. Das teuflische Kichern, das Sekunden später durch den Raum klang, hallte überlaut in Lornas Ohren nach.
Das Geräusch und der schreckliche Anblick ließen sie beinahe ohnmächtig werden. Wenn doch nur Henry und Frank kämen, zückte es ihr durch den Kopf.
Der Unheimliche schien ihre Gedanken lesen zu können.
»Die beiden sind unten in der Bar. Niemand kann dir helfen. Du kannst ruhig schreien. Niemand wird dich hören. Das Gewitterchen draußen ist mein Verbündeter. Außerdem sind schon ein Teil der Leute in diesem Haus meine Helfer.« Höhnisch sprach John Mallory auf Lorna ein.
Jedes seiner Worte war für sie wie ein Keulenschlag. Aber sie verstand nichts.
Was sollte das alles heißen? Was wollte der Unheimliche? Das war doch kein gewöhnlicher Verbrecher.
Irr zuckten die Gedanken durch Lornas Hirn. Sie fing an, den Verstand zu verlieren. Angst, Verzweiflung und Grauen schlugen
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