0932 - Das 14. Siegel
geschehen wäre, wenn einer der Dörfler gesehen hätte, wie sich ein Mädchen in zwei spaltet! Nach den üblichen Streitereien, ob sie dem Erbfolger helfen sollten oder nicht, war Anne dann immer in den Wäldern verschwunden und erst Stunden später wieder aufgetaucht. Oft erst, wenn der Drang, sich zu vereinigen, unstillbar geworden war. Was sie in dieser Zeit getrieben hatte, wussten weder Kathryne noch Anka, denn selbst wenn die Schwestern nur eine Person waren, konnte jede von ihnen ihre Erinnerungen verbergen, wenn sie wollte. Doch es war klar: In dieser Frage würde Anne sich nicht durchsetzen können! Anka hatte insgesamt mehr von Kathryne und so würde sie sich keinesfalls einfach aus dem Staub machen. Das änderte nichts daran, dass sie nicht wusste, wie sie es den Llewellyns sagen sollte.
Hobart und Gwyneth hatten sie aufgenommen und sich rührend um sie gekümmert. Da die Herrin des Hauses ein Kind erwartete, waren sie dankbar für jede helfende Hand. Für den Erbfolger war es von enormer Wichtigkeit, dass die Schwangerschaft und die anschließende Geburt reibungslos verliefen. Anka war auch klar, warum. Hobart würde im Körper seines Sohnes, für den sie sich den Namen Logan ausgesucht hatten, wiedergeboren werden. Ging aber etwas schief, würde die Erbfolge enden. Kein Sohn - keine Wiedergeburt! Deshalb sollte Gwyneth jede Anstrengung und jede Aufregung vermeiden.
Doch wie sollte Anka ihnen mitteilen, dass ein widerlicher augenloser Dämon vorhatte, ihr Kind nach der Geburt zu stehlen, einen finsteren Zwilling davon zu erschaffen und es dann zu töten? Würde sie damit nicht genau für die Aufregung sorgen, die Gwyneth so verzweifelt zu vermeiden suchte?
Und so hatte Anka das Gespräch wieder und wieder vertagt. Aber noch blieb ihr Zeit! Die Geburt würde erst in etwa fünfzehn Wochen stattfinden. Bis dahin ergab sich sicherlich noch eine Möglichkeit, den Llewellyns von Krychnak zu erzählen. Es musste sich einfach eine ergeben!
Von draußen drang ein leises Geräusch an Ankas Ohr. Das war nichts Ungewöhnliches, die Nacht war voller Geräusche. Aber dieses klang irgendwie - falsch! Wie das Reißen von Stoff, aber als ob sich der Stoff dagegen wehrte und wegen der Misshandlung seufzte. Wie eine Erschütterung im Gewebe des Seins. Wie…
Anka fuhr von ihrem Lager hoch!
Wie ein Tor, ein Durchgang, den jemand in die Wirklichkeit zwängte und dadurch die Fasern der Realität zerfetzte. Nein, nicht irgendjemand, sondern Krychnak!
Er war gekommen! Aber warum? Es war noch viel zu früh!
Mit wild pochendem Herz warf sich Anka ein grobes Wollkleid über und schlich auf nackten Füßen zur Tür des Anbaus. Sie öffnete sie nur einen Spaltbreit und lugte hinaus. Sie konnte nichts Außergewöhnliches entdecken. Die Häuser und Hütten des Dorfs lagen friedlich vor ihr, beschienen vom fahlen Licht eines abnehmenden Monds. In kaum einem Fenster brannte noch Licht.
Hatte sie sich geirrt?
Sie stahl sich aus dem Anbau und schloss leise die Tür hinter sich. Als sie am Haus entlang schlich, spürte sie die feuchten Grashalme zwischen den Fußzehen. Und da sah sie es! Aus einem der Fenster drang ein matter, flackernder Schein. Da es etwas erhöht lag, musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen und sich ein klein wenig hochziehen, um hindurchspähen zu können.
Was sie sah, stürzte sie in tiefe Verzweiflung! Sie hatte versagt! Ihre Zögerlichkeit hatte alles verdorben.
Krychnak kauerte in der Schlafstube neben Gwyneth! Seine Hand lag auf dem Bauch der Schwangeren. Das flackernde Licht stammte von den Fingern des Dämons, die seine schwarze Magie in Gwyneths Leib pumpten. Er murmelte kehlige, unmenschliche Laute. Die werdende Mutter schien von all dem nichts mitzubekommen.
Anka wusste, was er da tat! Sie hatte den Zauber sofort wiedererkannt. Er erschuf einen Zwilling des zukünftigen Erbfolgers noch im Mutterleib! Offenbar hatte er seine Pläne geändert.
Hobart befand sich nicht im Raum. Da sein Schnarchen klang wie das Brüllen eines heiseren Bären, nächtigte er neben der Feuerstelle in der großen Stube. Alles nur, um Gwyneth einen erholsamen, ruhigen Schlaf zu gönnen. Um die Schwangerschaft und die Geburt nicht zu gefährden.
Was für eine fatale Entscheidung!
Von Krychnak wusste Anka, dass er sich an den erwachsenen Erbfolger wegen seiner Kraft nicht heranwagte. Und nun ruhte diese Kraft im Nebenzimmer und ahnte von nichts!
Anka musste ihn wecken!
Doch bevor sie noch irgendetwas tun konnte,
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