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0953 - Der Fluch von Eden

0953 - Der Fluch von Eden

Titel: 0953 - Der Fluch von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Doyle
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Vater?«
    Er hatte zärtlich ihre Hand gedrückt, so wie er es später nur noch selten getan hatte. »Auch.«
    »Und warum noch?«
    Sie war ohne Argwohn. Sie lebte ein behütetes Leben. Wenn ihre Mutter nicht für sie da war oder ihr Vater - dessen Anwesenheit im Haus sich hauptsächlich auf den späten Abend, wie jetzt, und den frühen Morgen beschränkte, ansonsten arbeitete er auswärts -, war da immer noch Agnes. Eigentlich war sie die Person mit der meisten Herzensgüte. Doch das gestand sich Nele ungern ein - vielleicht wusste sie es mit sieben Jahren auch noch nicht besser. Erst nach und nach hatte sie verstanden, wie ihre Familie »funktionierte«.
    »Du sollst gesund werden«, hatte Albrecht Großkreutz gesagt - und plötzlich ein tönernes Fläschchen in der Hand gehalten, die er aus der Tasche seiner Jacke zog. »Ich habe dir eine Medizin gegen deine Mondsucht mitgebracht. Ich habe sie selbst zubereitet, nachdem dir alle Pülverchen der Quacksalber nichts halfen. Von heute an werde ich sie dir jeden Abend verabreichen. Es wird dir helfen, die morbi frenetici abzuschütteln. Du weißt, wovon ich spreche. Der Mond ist schuld an deinem Leiden, immer dann, wenn er voll und rund am Himmel steht. Aber künftig wird er dir nichts mehr anhaben können. Ich bete zu Gott, dass die Arznei anschlägt - sie wurde von mir in einem alten Folianten entdeckt, der die völlige Heilung verspricht.«
    Sie hatte tapfer genickt. Himmel, sie war sieben . Sie hätte ihrem Vater alles geglaubt. Und alles getan, um ihn zufriedenzustellen. Aber der Trank, den er ihr aus dem Fläschchen einflößte, hatte grässlich geschmeckt. Sie hatte sich fast übergeben müssen.
    Ihre Eltern redeten oft über ihre Krankheit. Ihr Vater vertrat die Ansicht, dass Neles Gehirn als feucht-kaltes Organ nach der Säftelehre in besonderer Verbindung zum Mond stehe, der ja auch selbst Macht über die Wassermassen eines Ozeans habe. Er trage Schuld daran, dass Nele manchmal hinfiel und zuckte, um sich schlug und strampelte, ohne sich selbst später daran erinnern zu können. Sie selbst sah während dieser Phasen immer nur bunte Lichter, hörte weder Stimmen noch andere Geräusche. Das einzige, was ihr daran missfiel, waren die Beulen und Schrammen, die sie sich überall am Körper zuzog.
    »Je übler es schmeckt«, hatte ihr Vater gesagt, »desto besser hilft es. Versprich mir nur eines, Kind.«
    Nele hatte ihn aus verkniffenem Gesicht angesehen. »Was, Herr Vater?«
    »Rede mit keiner Menschenseele über unser Geheimnis.«
    »Ist die Medizin denn ein Geheimnis?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    Er hatte gezögert, Luft geholt und gemeint: »Weil in dem Buch steht, dass sie nur wirkt, wenn man ihr Geheimnis wahrt.«
    »Ich werde mich daran halten.«
    Er hatte genickt, ihr über den Kopf gestrichen und die Stube verlassen. »Schlaf jetzt wieder. Morgen wirst du deinen Bruder zu Gesicht bekommen. Er ist bei der Amme.«
    Sie war voller freudiger Erwartung eingeschlafen.
    Wenn sie später an damals zurückdachte, wusste sie nicht, ob sie an eine heilende Wirkung jenes Tranks geglaubt hatte, den ihr Vater ihr von da an jeden Abend bis zu ihrem zwölften Lebensjahr verabreichte - oder ob sie ihn nur ihrem Vater zuliebe schluckte.
    Doch in der Folge waren die Anfälle tatsächlich immer weniger und schwächer in ihrer Ausprägung geworden. Ab ihrem neunten Lebensjahr war »Mondsucht« nur noch ein Wort für sie, das ihr nichts bedeutete, weil sie den Schrecken, der damit verbunden gewesen war, hinter sich gelassen hatte.
    Manchmal hörte sie ihre Mutter von einem Wunder sprechen. Dann tauschten ihr Vater und Nele verschwörerische Blicke.
    Das Geheimnis war bei ihnen gut aufgehoben.
    Bis zu dem Tag, da ein vermummter Mann Nele schüttelte und sie mit drohend erhobener Stimme ermahnte: »Und wage nicht, mich anzulügen!«
    Im nächsten Moment war sie wieder fünfzehn und von Grauen geschüttelt.
    ***
    »M-mit dem Teufel? Nein!!« Sie wich vor dem Vermummten zurück. »W-wer seid Ihr, Herr?«
    »Warum solltest du es nicht erfahren - da du so enden wirst wie alle, die sich wider Kirche und Natur versündigen?«, grollte der Mann.
    Nele fühlte seine Blicke durch das Gaze, das sein Gesicht wie graues Spinngewebe bedeckte, als ginge davon ein glühender Hauch aus.
    »Ich gebiete über diese Männer hier - sie gehören einem mächtigen Bündnis an, das sich die Vernichtung des Urbösen aufs Banner geschrieben hat! Und dein Vater, schönes Kind, war ein willfähriges Werkzeug

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