097 - Die Todestür
beiden übler dran war, Myrtle oder Humphrey. Humphreys Los mochte auf den ersten Blick schlimmer erscheinen, aber er war, bis auf wenige Augenblicke, betäubt und merkte nichts davon. Oder etwa doch? Dämonen war jede Perversion und jeder Sadismus zuzutrauen.
Nach ein paar Minuten hatte Myrtle Williams sich wieder erholt. Wir verabschiedeten uns, und Fred Archer fuhr uns zur Pension.
„Scheußliche Sache", sagte er, als wir im Wagen saßen. „Auf der Welt gäbe es auch ohne die Dämonen schon genug Übel."
Vor der Pension, die sich in einer Sackgasse befand, stiegen wir aus und nahmen unser Gepäck heraus. Ich steckte den Knopf noch einmal in den Wagen.
„Wir bleiben in Verbindung, Fred. Du siehst zu, ob du mit deiner Detektei etwas über den Verbleib der dreizehn Kinder herausfinden kannst. Trevor Sullivan schaltet die ,Mystery Press' ein, und Coco und ich werden auch nicht untätig bleiben. Ich rufe dich morgen an."
Er nickte. „Sei vorsichtig, Dorian, alter Junge! Was sagt man in einem solchen Fall? Vampirbiß und Leichenfraß vielleicht?"
„Paß du lieber auf, daß dich nichts dergleichen erwischt. Und hüte dich vor Luguri! Er ist der schlimmste Dämon, mit dem ich je zu tun hatte."
„Wird schon schief gehen", sagte Fred Archer optimistisch, wendete und fuhr davon.
Drei Tage vergingen, ohne daß wir auf eine heiße Spur stießen. Coco und ich wohnten in der heruntergekommenen Pension in Soho. Ich war nicht verwöhnt, aber der Dreck und die Zustände dort widerstrebten mir.
Die Pension gehörte einem Freak, der allgemein Qualle genannt wurde; zu Recht, denn er war von einem besonderen Fluch betroffen: er hatte keinen einzigen Knochen mehr im Körper und schaukelte als scheußlicher Gallertklumpen durch die Gegend. Feste Kleidungsstücke bewahrten seinen Körper davor, zu einem breiten Fladen zu werden. Er stützte sich auf Leichtmetallkrücken. Qualle war wenig mehr als einen Meter groß und ein Meter zwanzig breit. Sein Kopf wurde von einer durchsichtigen Folie zusammengehalten.
Als ich Qualle das erstemal sah, konnte ich hinterher den ganzen Tag nichts essen. Aber er gab uns das ganze oberste Stockwerk seiner Pension; wir wurden so nicht so sehr von dem beeinträchtigt, was sich im Haus abspielte.
In den beiden unteren Stockwerken wurden Zimmer stundenweise vermietet, und das Haus schien mir auch ein Umschlagsplatz für Diebe und Hehler zu sein. Die Umgebung hatte einen Vorteil: hier fragte niemand wer man war und was man trieb, solange man nicht gerade das Haus ansteckte.
Im obersten Stockwerk gab es einen Nebenanschluß des Telefonapparats. Scotland Yard rief ich aber immer von einer Telefonzelle aus an; dort brauchte niemand zu wissen, daß ich hier Unterschlupf gefunden hatte.
Gleich am ersten Tag in der Pension rasierte ich mir meinen Oberlippenbart ab. Es kostete mich Überwindung, diese Manneszierde verschwinden zu lassen, trug ich sie doch schon seit Jahren. Außerdem war ich der Meinung, daß der Bart zu meinem Typ paßte. Als der Oberlippenbart in dem Badezimmer mit der tropfenden Dusche, dem halbblinden Spiegel und den verdreckten Kacheln dem Rasierapparat zum Opfer gefallen war, trat ich zu Coco ins Zimmer. Sie blätterte in einem Magazin.
„Schau mal in mein Gesicht!"
Zuerst fiel ihr nichts auf, dann stutzte sie.
„Dein Bart ist weg. Ohne das Gestrüpp im Gesicht siehst du gleich viel besser und zehn Jahre jünger aus."
Das war um einiges übertrieben.
„Findest du? Ich dachte immer, der Oberlippenbart gefällt dir?"
„Ich habe nie etwas dagegen gesagt, weil ich dich nicht vor den Kopf stoßen wollte. Mit dem Bart sahst du aus, als wolltest du Dschingis Khan Konkurrenz machen."
„Zum Donnerwetter, warum hast du denn nie zu mir gesagt, ich soll ihn abschneiden?"
„Hättest du das etwa getan?"
Wenn ich ehrlich zu mir selber war, mußte ich nein sagen.
„Ich weiß nicht", sagte ich. „Jedenfalls wird man mich ohne Bart nicht so leicht erkennen. Und wenn ich noch einen Hut aufsetze, bin ich sehr gut getarnt."
„Ich finde, du bist zu einem attraktiven Mann geworden, Dorian. Wirklich, mein Kompliment."
„Hm, hm", brummte ich, obwohl mir das natürlich schmeichelte.
Ich setzte mich zu Coco auf die alte abgewetzte Couch und legte einen Arm um sie. Wir probierten, wie ein Kuß ohne den Oberlippenbart schmeckte, und daraus wurde dann mehr. Für eine Weile vergaßen wir die Dämonen und die schäbige Umgebung.
Die Nachrichten, die ich in diesen drei Tagen erhielt,
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