1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
moderne Anlage, die auf einem Hügel gelegen sogar über einen Swimmingpool verfügte. An der Rezeption erwartete uns ein dunkelhäutiger Riese mit einer sonoren Stimme. Gegen ihn sah sogar Martin harmlos aus. Ralph, so stellte er sich uns direkt freundlich vor, war aber alles andere als bedrohlich. Der Glanz in seinen Augen und das stetige Lächeln in seinem Gesicht verschwanden auch dann nicht, wenn sich die Kommunikation mit den Pilgern einmal etwas schwieriger gestaltete.
„Wie viele seid ihr denn?“ wollte Ralph von uns wissen.
„Es kommen noch Freunde von uns nach. Dann sind wir zu acht“, antwortete ihm Monica.
„Dann gebe ich euch ein extra Zimmer mit zehn Betten“, sagte er freundlich. Die Herberge bestand aus einem riesigen Schlafsaal von fast sechzig Betten, einem kleineren mit vierzig Betten und der Rest der Unterkünfte war in einem Nebengebäude, mehrere Zimmer mit jeweils zehn Schlafmöglichkeiten. Auf dem Weg dorthin war mir der Sanitärbereich mit Waschmaschinen und Trockner aufgefallen. Komisch — ich freute mich, das zu sehen, weil ich nun meine Klamotten das erste Mal richtig waschen konnte. Die Herberge war zum Glück nicht so überlaufen, und so war das Waschen und Aufhängen der Wäsche auch gut möglich.
Auch sonst fühlte ich mich hier das erste Mal nicht so eingeengt, wie in den anderen Herbergen zuvor. Alles hier war großzügig dimensioniert. Ein riesengroßer Gästeraum mit Kaffeebar, Internetanschluss und Fernseher lud zum Verweilen außerhalb des Zimmers ein. So saß ich dort bei einem köstlichen Kaffee und meine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Fernseher in der Ecke. Er lief ohne Ton und recht brutale Bilder von Überschwemmungen waren in einer Sondersendung zu sehen.
„Dieses Unwetter kann morgen hier ankommen“, hörte ich die besorgte, sonore Stimme von Ralph hinter mir. Ein großes Regengebiet hatte schon Teile Spaniens überschwemmt und nach den Berichten würde es morgen in die Gegend ziehen, in der ich mich gerade befand.
„Ach was soll’s“, sagte ich, „ich bin doch hier in einer schnuckeligen Herberge, wo ich alles habe“. Ralph war schon wieder verschwunden und ich setzte mich mit dem Rücken zum Fernseher. Dann erinnerte ich mich, dass ich meine Maschinenwäsche noch in den Trockner werfen wollte. Dort angekommen, stritten sich zwei Frauen um den einen Trockner im Raum. Es waren Deutsche. Ich musste grinsen und im Umdrehen entdeckte ich Monica, die mir deutete, ihr zu folgen.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen oder war es vielleicht der Korb nasser Wäsche, der mich verraten hatte, zeigte sie mir wortlos einen zweiten Trockner in einem Nebenraum. Ich fütterte ihn mit meiner Wäsche und zwei Euro. Dann drehte ich mich um, weil ich ihr danken wollte, aber sie war schon wieder weg — ohne ein Wort zu sagen.
„Eine merkwürdige Frau“, dachte ich und ging in unser Zehnbettzimmer. Hier waren gerade alle unsere Freunde angekommen, die sich wirklich sehr freuten, dass wir alle gemeinsam in einem Raum untergebracht waren. Monica, die wieder mal ein Bett unter mir bezogen hatte oder ich eins über ihr, wie man es sieht, schaute auf meinen Rucksack.
„Darf ich ihn mal anheben?“ fragte sie.
„Klar doch“, antwortete ich ihr etwas verwundert. Sie versuchte meinen Rucksack mit einer Hand zu heben, aber das ging nicht. Bruno hatte das gesehen und wollte auch mal. Er hob ihn leicht an, ließ ihn dann aber mit einem lauten Pusten wieder ab.
„Werner. Der ist viel zu schwer. Damit kommst du nicht in Santiago an.“
„Da ist alles drin, was ich brauche“, entgegnete ich ihr. Was wollte die bloß immer mit meinem Rucksack? Ich musste den doch schleppen.
„Du hast noch mehrere hundert Kilometer vor dir. Und mit dem Gewicht machst du dir deinen Körper kaputt.“ Ihr Ausdruck war sehr ernst.
Dann schaltete sich Heike, die Physiotherapeutin ein.
„Lass uns doch mal gemeinsam sehen, was du so alles eingepackt hast. Und wir schauen dann, ob du das wirklich brauchst“, schlug sie vor. Zuerst dachte ich an Kindergarten und es war mir gar nicht recht. Aber da ich den Rucksack sowieso auspacken und aufräumen wollte, dachte ich, warum nicht?
Und dann begann etwas, das ich so schnell nicht vergessen werde. Ich schnappte mir meinen Rucksack und öffnete ihn. Mir gegenüber nahmen Monica, Martin und sein Sohn Bruno, Heike, Peter und Toni auf den Betten Platz. Ich hatte den Rucksack mangels Erfahrung nach meinem Reiseführer gepackt. Da waren die Dinge,
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